Humorkritik | Januar 2011

Januar 2011

Kultur und/oder Komik

Welche Rolle spielt die Komik in der Kunst, welche hat das Lachen im Alltag? So gut wie keine, glaubt man der »Deutschen Kulturgeschichte« von Axel Schildt und Detlef Siegfried mit dem schadhaften Untertitel »Die Bundesrepublik von 1945 bis zur Gegenwart«: Keine zwei von den siebenhundert Seiten dieser Schwarte behandeln die Satire und das Kabarett. Auch in Egon Friedells doppelt so dicker »Kulturgeschichte der Neuzeit« spielt die Kunst der Komik bloß eine kleine Nebenrolle. Dabei verstand er etwas von ihr, hatte er doch mit Alfred Polgar Sketche, kleine Komödien und für den Wiener Fasching die »Böse-Buben-Zeitungen« geschrieben. Noch merkwürdiger ist, daß man es Friedell nicht übelnimmt.

 

Zum einen nämlich hat er die richtige Mischung aus Fakten und eigener Meinung gefunden. Während Schildt/Siegfried wie zwei emsige Buchhalter Informationen runterhaspeln, wird man von Friedell auch mit Gedanken gefüttert. Dabei stören selbst Irrtümer und schiefe Urteile nicht, im Gegenteil: »Alles Ganze, Vollendete ist eben vollendet, fertig und daher abgetan, gewesen; das Halbe ist entwicklungsfähig, fortschreitend, immer auf der Suche nach seinem Komplement. Vollkommenheit ist steril«, schreibt Friedell über die leere Perfektion von Raffaels Kunst – Friedells Unvollkommenheiten aber setzen den eigenen Kopf in Bewegung.

 

Da ist zum anderen Friedells luzider, in Sprachschönheit badender Stil, der das Lesergehirn wohlig reizt, während Schildt/Siegfrieds Sprache öde ist wie die Fassade eines modernen Glaskastenbürogebäudes. Zum dritten: Der staunenswert weite Horizont Egon Friedells, der über die »Säkularisation des Menschengeschlechts« in der Reformation (»Das Leben wird logisch, geordnet, gerecht und tüchtig, mit einem Wort: unerträglich«) ebenso originell Bescheid stößt wie über die Naturwissenschaften und ihre »Homunkulusvergnügungen« im frühen 19. Jahrhundert. Dabei fallen Urteile ab, die durchaus zeitlos sind, so bei Gelegenheit der im 16. Jahrhundert aufstrebenden Nationen England und Holland: »Zunächst ist ja aller Handel und Gelderwerb nichts als eine Art zivilisierter und in geordnete Bahnen geleiteter Betrug.«

 

Diesen Mut zum klaren Wort, den man braucht, wenn man selber denkt, statt überkommene Ansichten zu übernehmen, beweist Friedell oft: Der Eiffelturm z.B. ist »nippeshaft«, der Theologe David Friedrich Strauß verkörpert den »vollendeten Typus des intelligenten Esels«, die Französische Revolution gleicht einem »Schundroman«. Während zwei Kulturhistoriker von heute eine meinungslose Neutralität pflegen und sich damit bloß als brav angepaßt entlarven, stellt sich Friedell gängigen Auffassungen entgegen und befreit so vom Ballast der herrschenden Ideologie, z.B. der von edler Einfalt und stiller Größe der Griechen: »Im ganzen Altertum war ihre Streitsucht und Schmähsucht, Habgier und Bestechlichkeit, Eitelkeit und Ruhmredigkeit, Faulheit und Leichtfertigkeit, Rachsucht und Perfidie, Scheelsucht und Schadenfreude berüchtigt und sprichwörtlich.«

 

Obendrein gibt es bei Friedell eben doch einiges zu lachen oder wenigstens zu belächeln, weil er Gespür für unfreiwillige Komik hat und sein 1500 Seiten starkes Werk auch eine Fundgrube historischen Irrsinns ist. Da gabelt er einen holländischen Gelehrten namens Vossius auf, der in der Tragödie wirkliche Verbrecher hinrichten lassen wollte; er präsentiert einen gewissen Pérès, der beweisen wollte, daß Napoleon »niemals gelebt habe, vielmehr nichts anderes sei als die Personifikation der Sonne«; und er erzählt von Aufklärern des 18. Jahrhunderts, die die »nützliche Auslegung der Bibel« predigten: »Man predigte anläßlich der Krippe über den Nutzen der Stallfütterung, beim Ostergang der Frauen zum Grabe über die Vorteile des Frühaufstehens, beim Einzug Jesu in Jerusalem über die Bedenklichkeit der Holzvergeudung durch Abschneiden frischer Zweige.« Gut zu wissen!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.12.2023 Itzehoe, Lauschbar Hauck & Bauer
03.12.2023 Kassel, Studiobühne im Staatstheater Kassel Ella Carina Werner
05.12.2023 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Til Mette
06.12.2023 Oldenburg, Wilhelm 13 Bernd Eilert mit Sandra Kegel und Klaus Modick