Humorkritik | Dezember 2011
Dezember 2011
Ödipus trifft Gangstarapper
Im Jahr 2006 kursierte im Web eine wissenschaftliche Arbeit, die partout kein Verlag zu drucken wagte. Schlichter Titel des 78seitigen Dokuments: »Fuck«. Der amerikanische Jurist Christopher M. Fairman befaßt sich darin mit Etymologie, Gebrauch und rechtlicher Würdigung des wohl bekanntesten four-letter words der englischen Sprache. Eine ähnliche Aufgabe hat sich 2009 der US-Journalist Jim Dawson gestellt. Er nahm sich die ungleich heftigere Schmähvokabel »Motherfucker« vor und packte deren bewegte Historie in ein Buch, dessen deutsche Übersetzung jetzt vorliegt (»Motherfucker. Die Geschichte der Mutter aller schmutzigen Wörter«, Edition Tiamat). Mit beachtlichem Fleiß beleuchtet Dawson die mannigfachen Facetten von »Motherfucker« – vom Schimpf- zum Kosewort bis zum Allzwecksynonym –, seine Rolle in der (schwarzen) Stand-up-Comedy, beliebte Abwandlungen (in der TV-Fassung von »Die Hard« sagt Bruce Willis »Yippee-ki-yay, Kemo Sabe!«) sowie die überraschende Vorliebe von Barmixern für das unfeine Lexem: Ein Kapitel stellt ein volles Dutzend Rezepte für Cocktails mit »Motherfucker« im Namen vor. Die deutsche Übertragung ist großenteils gelungen (über beliebte Fehlgriffe wie »Bestialität« für beastiality oder »linguistisch«, wo es »sprachlich« heißen muß, sehe man hinweg) – und sie macht nicht den Fehler, das englische motherfucker konsequent zu übersetzen, da »Mutterficker« die schockierende Wirkung noch besitzt, die das englische Wort längst verloren hat. Erst recht nach den 270 Seiten dieses Buches.