Humorkritik | Oktober 2010

Oktober 2010

Depperte Dschihadis

Eine Podiumsdiskussion zum Thema militanter Islamismus. Barry, ein weißer englischer Konvertit und fanatischer Muslim, hat gerade einige verwirrende, widersprüchliche (und natürlich lustige) Sachen gesagt, als ein dunkelhäutiger junger Mann im Publikum aufsteht und sich darüber beklagt, daß alle Welt junge dunkelhäutige Männer für Bombenleger hält. »Wenn mich alle für einen Bombenleger halten, warum soll ich mich dann nicht wie einer verhalten?« ruft er und öffnet die Jacke, damit alle sehen können: Er trägt einen Sprengstoffgürtel. Und beginnt, vor dem zunächst entsetzten, dann eher verwirrten Publikum zu rappen: »I’m the Mujahideen / and I’m making a scene / Now you’s gonna feel / what the boom-boom means!« Er zündet – »Allahu akbar!« – die Ladung, doch unter dem Geschrei der Menschen stellt sie sich als Attrappe mit Krachern und Luftschlangen heraus: »Oh man, come on. Just ’cos I’m muslim you thought it was real?!«

 

Daß man nicht genau weiß, was man davon halten soll: das ist die große Stärke von Chris Morris’ eben auf DVD erschienener Islamisten-Satire »Four Lions«. Eines weiß ich allerdings sicher: Sie ist unglaublich lustig. Denn »Four Lions« setzt ganz auf Fallhöhe. Erzählt wird die Geschichte einer Gruppe englischer Muslime in Sheffield, die einen Selbstmordanschlag in London verüben wollen. Ihre Motive und die Charakterzeichnung sind dabei vollkommen glaubwürdig. Um so mehr zünden die Elemente der Farce, wenn sich mehrere Möchtegern-Dschihadisten als reichlich deppert entpuppen: Das Bekennervideo besteht nur aus Schnitzern, der Einsatz von Krähen als Bombenträger funktioniert nicht so recht, und aus Geheimhaltungsgründen müssen die angehenden Attentäter ihre Kommunikation in einem Kinder-Chatforum abwickeln.

 

So scheitert der heilige Krieg zuvörderst an irdischen Mißgeschicken. Doch leistet der Film weder dem Antiislamismus Vorschub, noch spielt er die Versöhnlichkeitskarte aus, die »The Infidel« (TITANIC 9/2010) im letzten Akt so ungeschickt aus dem Ärmel zieht. Statt dessen unterläuft »Four Lions« immer wieder auf das Komischste die Erwartungen des Zuschauers. In einer Szene versucht ein religiöser Muslim den angehenden und im Glauben weniger gefestigten Terroristen Omar für dessen Attentatspläne zur Rede zu stellen: Der Koran verbiete solche Aggression, einem echten Moslem sei in jedem Falle verboten zu töten. Doch noch bevor man die Hand vor dem Mund hat, um angesichts dieser Political Übercorrectness herzhaft zu gähnen, wird das Gut/Böse-Schema schon wieder durchbrochen: Denn der feine Herr Moslem weigert sich, das Zimmer zu betreten, in dem sich Omars Frau aufhält; und zu Hause sperrt er während des Gebets die Frauen sogar in einen sehr kleinen Verschlag (»Bevor du die Kloschüssel hast rausnehmen lassen, war es eine Toilette!«).

 

Drehbuchautor Chris Morris, heißt es, habe nicht nur mit Terrorismusexperten, Imamen und Muslimen gesprochen, bevor er sich ans Schreiben machte, sondern den fertigen Film auch einem Ex-Guantánamo-Häftling vorgelegt – der dann zu dem Schluß kam, es sei nichts zu sehen, was britische Muslime beleidigen könnte. Das überrascht, schließlich werden etliche der heiligen Krieger als veritable Vollpfosten dargestellt. Aber eben nicht alle, und mit Omar (sehr gut: Riz Ahmed), dem vernünftigsten und mitfühlendsten der Bande, haben die Islamisten sogar eine Identifikationsfigur, die den Zuseher in das denkbar größte Dilemma versetzt: Er ist nicht weniger als ein sympathischer islamischer Selbstmordattentäter – etwas, das es im Bewußtsein der westlichen Welt eigentlich gar nicht geben dürfte.

 

»Four Lions« ist Chris Morris’ Debüt auf der großen Leinwand und sein erstes Lebenszeichen, seit er vor fünf Jahren mit Charlie Brooker die ebenfalls großartige mediensatirische Sitcom »Nathan Barley« abgeliefert hat – und es berechtigt zu den größten Hoffnungen. 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, »Welt«,

wohl mangels Materials bewarbst Du online einen sieben Jahre alten Artikel aus dem Archiv, und zwar mit den Worten: »Wenn ihr diese Wörter benutzt, wirkt ihr intelligenter.« Dazu ein wahlloses Foto einer jungen Frau.

Nun wollen wir Dich nicht enttäuschen, müssen aber doch auf einen wichtigen Umstand hinweisen, der Dir anscheinend entgangen ist. Man muss nämlich nicht nur bestimmte Wörter benutzen, um intelligent zu erscheinen, sondern diese auch noch in eine komplizierte Reihenfolge bringen, die oft ganz entscheidend ist.

Dumm für oft Welt hält Journalist/innen: Titanic

 Bssssssssssssss, Bienen!

Bssssssssssssss, Bienen!

In den USA ist gerade ein Impfstoff für Euch freigegeben worden, nämlich gegen die Amerikanische Faulbrut, die Euch seit einer Weile dahinrafft. Nun wollten wir schon höhnen: »Haha, jetzt wird zurückgestochen! Da merkt Ihr mal, wie unangenehm das ist«, doch dann lasen wir die entsprechende Meldung genauer und erfuhren, dass das Vakzin gar nicht injiziert, sondern dem Gelée Royale für Eure Königinnen beigemengt wird. Erschreckend, wie sich wieder einmal die Impfgegner/innenlobby durchgesetzt hat!

Zeichnet somit erst mal keine Beeontech-Aktien: Titanic

 Hallo, Literaturkritik!

Was ist los mit Dir? Alt geworden? Müde? Wir waren doch so gut aufeinander eingespielt: Du liest ein neues Werk von Raphaela Edelbauer (»Das flüssige Land«, 2019 / »Dave«, 2021), gerätst aus dem Häuschen, schreibst irgendwas wie »sprachlich souverän« und »Raffinesse« und »Kafka« und »enorme Sprachmächtigkeit« und abermals »Kafka«, und wir schauen uns das schwergelobte Werk etwas genauer an und finden lauter wundersame Stellen, die Du wahrscheinlich überlesen hast: »Der ganze Raum zitterte glückselig vor Neid wie ein trotziger Block Aspik« zum Beispiel. Oder: »Selbst wenn jemand bloß geschäftig und zielgerichtet den Gang hinunterging, war sein Streben vom Habitus eines Handgemenges«. Oder: »Da richtete sich Pawel jäh auf, und die Lider waren wie von transparenten Seilen an der Stirn aufgerafft.«

So weit, so gewohnt. Aber jetzt? Erscheint »Die Inkommensurablen«, Edelbauers dritter Roman in knapp dreieinhalb Jahren – und Du, Literaturkritik, versagst plötzlich. Mäkelst rum! Erstmalig! Hältst das zwar alles weiterhin für »glänzend« und »klaren Stil«, meinst aber, dass sich »da und dort kleine Fehler eingeschlichen« hätten; findest das Buch stur »faszinierend«, aber auch »faszinierend misslungen«; attestierst auf einmal »Manierismus«, ja stellst (mit dem Spiegel) die ganz großen bangen Fragen: »Mist oder Musil?«

Heißt das, dass Dir allmählich was schwant? Dass Du Lunte gerochen hast? Verdacht schöpfst? Dass Dir an Sätzen wie »Dessen Reaktion produzierte eine ungeheure Diskrepanz« oder »Junge Charmeure in Militäruniform liefen ein paar Mädchen nach, die sich beim Kaufen einer Brezel aus der Auslage eines groben Böhmen kokett umdrehten« irgendwas auf-, irgendwas missfällt – Du weißt nur noch nicht, was genau?

Und also R. Edelbauer bloß noch sieben oder acht Romane schreiben muss, bist Du in zehn oder elf Jahren auf dem Laufenden bist, was die Sprachmächtigkeit dieser Art von Literatur betrifft?

Na dann – durchhalten!

Wünscht Titanic

 Nice one, Ted Cruz!

Sie sind US-Senator und mittlerweile auch hierzulande als rechter Hardliner und Schwurbelkopf der Republikaner halbwegs bekannt. Derzeit setzen Sie sich für die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für Senator/innen ein. Und wollen gleichzeitig für eine eigene dritte kandidieren.

Diesen Ansatz finden wir sehr vielversprechend, um die Anliegen Ihrer Partei durchzubringen. Sie sollten ihn unbedingt auch auf andere Themen anwenden! Unsere Vorschläge: Waffenniederlegungen gegen schärfere Waffengesetze, Abtreibungskliniken gegen Abtreibungen und offene Grenzen gegen Einwanderung.

Für weitere Tipps stehen jederzeit zur Verfügung:

Ihre Snowflakes von Titanic

 Gute Idee, Porsche-Vorständin Barbara Frenkel …

Sie haben Ihre Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die Regierung das (zufälligerweise auch von Porsche produzierte) synthetische Benzin, also E-fuels, subventionieren und somit billiger machen müsse. Denn: »Der Kraftstoff, den wir herstellen, ist viel zu teuer, als dass wir ihn so verwenden könnten.«

Dieser Superidee schließen wir uns gerne an: Wir tippen jetzt jedes Heft auf unseren eigens entwickelten »E-tools« (Kryptotinte), aber weil das doch aufwendiger ist als die Arbeit am PC, fordern wir dann gemeinsam mit Porsche Geld vom Staat, um die Heftkosten zu drücken, ja? Nein? Dann sehen Sie bitte endlich ein, dass Sie sich mit Ihrer ineffizienten Deppentechnologie auf dem Markt nicht durchsetzen werden, und sagen Sie Ihren peinlichen Brummbrumms Lebewohl.

Wünscht Ihnen keine gute Fahrt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Marktregeln

Leuten, denen es in der Supermarktschlange nicht schnell genug geht und die deshalb eine unschuldige Mitarbeiterin ankeifen, fehlt das nötige Kassenbewusstsein.

Viola Müter

 Post vom Mediator

Beigelegt: ein Streit.

Andreas Maier

 Beim mittelmäßigen Zahnarzt

»Bitte weit aufmachen! Nicht erschrecken, meine Mundhöhlentaschenlampe ist mir vorhin ins Klo gefallen, ich muss eine Wunderkerze benutzen.«

Torsten Gaitzsch

 It’s not a Bug

Als Gregor Samsa, Programmierer, eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett erfreulicherweise zu einem ungeheueren Feature verwandelt.

Christian Kroll

 Medienkritik

Ich kann diese Parfum-Influencer auf Youtube einfach nicht riechen.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 24.02.:

    Die Deutsche Welle über das Krieg-Spezial im aktuellen Heft und andere themenverwandte Titel (Artikel in russisch, aut. Übersetzung).

  • 10.02.:

    Spiegel berichtet: "EU-Untersuchung Russland soll Fake-'Titanic'-Titelseiten verbreitet haben"

  • 10.01.: "Der Teufel vom Dachboden" – Eine persönliche Pardon-Geschichte in der Jungen Welt von Christian Y. Schmidt.
  • 13.12.:

    Anlässlich des 85. Geburtstages Robert Gernhardts erinnert Christian Y. Schmidt in der Jungen Welt an den Satiriker und Vermieter.

  • 26.10.:

    Chefredakteurin Julia Mateus spricht über ihren neuen Posten im Deutschlandfunk, definiert für die Berliner-Zeitung ein letztes Mal den Satirebegriff und gibt Auskunft über ihre Ziele bei WDR5 (Audio). 

Wenzel Storch: "Die Filme" (gebundene Ausgabe)
Renommierte Filmkritiker beschreiben ihn als "Terry Gilliam auf Speed", als "Buñuel ohne Stützräder": Der Extremfilmer Wenzel Storch macht extrem irre Streifen mit extrem kleinen Budget, die er in extrem kurzer Zeit abdreht – sein letzter Film wurde in nur zwölf Jahren sendefähig. Storchs abendfüllende Blockbuster "Der Glanz dieser Tage", "Sommer der Liebe" und "Die Reise ins Glück" können beim unvorbereiteten Publikum Persönlichkeitstörungen, Kopfschmerz und spontane Erleuchtung hervorrufen. In diesem liebevoll gestalteten Prachtband wird das cineastische Gesamtwerk von "Deutschlands bestem Regisseur" (TITANIC) in unzähligen Interviews, Fotos und Textschnipseln aufbereitet.
Zweijahres-Abo: 117,80 EURSonneborn/Gsella/Schmitt:  "Titanic BoyGroup Greatest Hits"
20 Jahre Krawall für Deutschland
Sie bringen zusammen gut 150 Jahre auf die Waage und seit zwanzig Jahren die Bühnen der Republik zum Beben: Thomas Gsella, Oliver Maria Schmitt und Martin Sonneborn sind die TITANIC BoyGroup. In diesem Jubiläumswälzer können Sie die Höhepunkte aus dem Schaffen der umtriebigen Ex-Chefredakteure noch einmal nachlesen. Die schonungslosesten Aktionsberichte, die mitgeschnittensten Terrortelefonate, die nachdenklichsten Gedichte und die intimsten Einblicke in den SMS-Speicher der drei Satire-Zombies – das und mehr auf 333 Seiten (z.T. in Großschrift)!
Titanic unterwegs
23.03.2023 Köln, Comedia Max Goldt
23.03.2023 Neuruppin, Kulturhaus Martin Sonneborn mit Gregor Gysi
25.03.2023 Meinerzhagen, Stadthalle Martin Sonneborn
02.04.2023 Fürstenfeldbruck, Kunsthaus Greser und Lenz