Humorkritik | Januar 2010

Januar 2010

Noch Fragen?

»Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.« Spätestens seit Sesamstraßen-Zeiten wissen wir, daß Fragen zu stellen eine ganz wichtige Sache ist. Mit Fragen kann man sogar die Bestsellerlisten stürmen, wie Richard David Precht mit seinem Werk »Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?« bewiesen hat. Erfolgreich und gut gefragt. Wenn auch nicht annähernd so gut wie der Kollege F.W. Bernstein, der diesen letzten Fragen schon lange vor Precht nachspürte und sie natürlich differenzierte und existentiell vertiefte, indem er in seinem Gedicht »Identität – ja oder nein?« zu wissen begehrte: »Bin ich ein Fürst? Ein Bettelmann? / Bin Heil’ge ich oder Hur? / Bin ich ein Gi-Ga-Gantenbein? / Oder ein Wuschel nur?« Die Antwort könnte im Wind wehen, denn es ist auch wichtig, wem man welche Frage stellt: »Frag den Abendwind, wo das Glück beginnt, aber frage nicht, woran es manchmal zerbricht«, hauchte Françoise Hardy irgendwann in den fernen frühen Sechzigern.

 

Warum ich mich mit diesem nutzlosen Tand beschäftige? Worauf ich hinaus will? Verständliche Fragen meiner womöglich ungeduldigen Leser.

 

Hier die umgehende Antwort: Hinaus will ich auf ein Buch, das mir unlängst in die Hände geriet, das bereits 2003 erschienen ist und das ich hier sehr empfehlen will (darum also): Es heißt »Findet mich das Glück?« (Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln) und ist vom Schweizer Künstlerduo Peter Fischli und David Weiss, welches ich schätze, seit die beiden 1979 in ihrer »Wurstserie« aus Produkten des Fleischerfachhandels eigenwillige und anmutige Artefakte arrangierten. Wenn sie nicht grade mit solchen und artverwandten Aktionen beschäftigt sind, grübeln sie über allerlei nahe, nicht ganz so nahe, bisweilen gar recht fern liegende Probleme nach. Hunderte sich dabei einstellende Fragen haben sie 2003 als Biennale-Beitrag gesammelt, über dreihundert findet man in ihrem formidablen Buch – und zum Glück keine einzige Antwort.

 

Von den üblichen, banalen Fragen, die unsereins im Alltag umtreiben (»Wo sind meine Schlüssel?«, »wer bezahlt mein Bier?«, »warum ruft sie nicht an?«), mal abgesehen, erreichen sie fraglos ein Frageniveau, das Gedanken macht: »Soll ich einen Turm bauen?« Sehr gute Frage. »Führt ein unterirdischer Gang direkt in die Küche?« Noch bessere Frage. »Soll ich meine Mutter heiraten?« Verbotene Frage. »Ist alles in meinem Kopf?« Rätselhafte Frage. »Kennt mich mein Auto?« »Wäre ich ein guter Japaner?« »Soll ich Rußland überfallen?« »Ist es vermessen, nach einem arbeitsreichen Tag ein Süppchen zu verlangen?« »Warum schweigen die Wälder?«

 

Warum schweige nicht ich? Weil ich gar nicht aufhören mag zu zitieren: »Darf sich die Wahrheit alles erlauben?« Darf sie natürlich nicht. »Soll ich die Wirklichkeit in Ruhe lassen?« Soll ich Sie, Leser und Leserin, in Ruhe lassen? Oder noch eindringlicher auf dieses komische Kompendium hinweisen, das jeden Precht oder Brecht (»Fragen eines lesenden Arbeiters«) in sämtliche Schatten stellt? Begeistert sein oder nicht begeistert sein, das ist hier nicht die Frage. Oder allenfalls eine rhetorische.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt