Humorkritik | März 2008
März 2008
Neue Abgründe
Gegen Matthias Keidtels schon 2006 erschienenen, jetzt als Taschenbuch bei Goldmann erhältlichen Roman »Ein Mann wie Holm« um einen sozial unterkompetenten 37jährigen, der, fern aller zeitgenössischen Aufgeregtheiten, bei seiner Tante auf dem Sofa wohnt und dann doch in den Alltag und gen Liebe aufbricht, die beide ihre Rätsel erst mählich preisgeben, will ich, trotz des hohen Presselobs, gar nichts einwenden; aber wenn einer schon eine offene, ans Kopistische grenzende Hommage an Wilhelm Genazinos dreißig Jahre alte »Abschaffel«-Trilogie schreibt (und selber analog eine »Trilogie des modernen Mannes« plant, deren zweiter Teil dieses Jahr erscheinen soll), wäre es tunlich gewesen, auch die Ökonomie des Originals zu übernehmen und den Roman mit 350 Seiten nicht um locker 100 Seiten zu überziehen: Die Prononcierung des Linkisch-Antiheldenhaften wird dann doch maschig, geschwätzig und schließlich langweilig, von den sich häufenden, quasi die Materialermüdung anzeigenden Trashtermini wie »nachvollziehen«, »in keinster Weise« und »vor Ort« mal abgesehen. Früher war nicht alles besser; das aber schon.
Diese Wahlverwandtschaft ist den mir bekannten Rezensionen naturgemäß eher nicht aufgefallen; statt dessen wurden die meisten Feuilletonspalten verläßlich mit reizend falschen Baukasten-Beobachtungen wie »fiese Ironie«, »kuriose Skizze eines sympathisch-schrägen Spießers«, »Autor spielt auf der Klischeeklaviatur«, »Herr Holm ist bis in die letzte Textilfaser ›retro‹« zugestellt und lassen Ihren alten Mentz, weil Keidtels Ironie nicht fies, ein 350-Seiten-Buch keine Skizze und Hauptfigur Holm nicht retro, nicht schräg, kein Spießer und kein Klischee ist, wieder mal ratlos und müde zurück. Denn es hat ja keinen Zweck; eher bringt man einem Affen Differentialrechnung bei als dem zuständigen Personal Literaturkritik. Oder gar Deutsch: »Mit jedem neuen Handlungsfaden tut sich ein neuer Abgrund des Protagonisten auf« (taz), jaja, so ist es. Sowieso.