Humorkritik | Dezember 2007

Dezember 2007

Die März-Rolle

Endlich wieder erhältlich und zu besichtigen ist die viel zu lange in staubigen Archiven gegammelt habende »März-Akte«, ein halbdokumentarischer Langfilm rund um das Schicksal des legendären quietschgelbroten März-Verlages (»Sexfront«, »Acid«, »Headcomix«, »Siegfried« u. v. a. m.) und seines nicht minder legendären Verlegers Jörg Schröder. Der 1986 tatsächlich mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Streifen wurde ein Jahr zuvor von Peter Gehrig in der Art der damals noch gar nicht geläufigen Mockumentary gedreht, d.h. die Interviews mit diversen Autoren, Journalisten und Verlegern von Uve Schmidt über Henryk M. Broder bis Gerd Haffmans und KD Wolff sind echt, die vielen schönen Interviewteile mit Jörg Schröder – immer wieder assistiert, begleitet, verbessert und gestört durch Barbara Kalender – sowieso, nur die Spielhandlung drumherum ist konstruiert.

 

Da begegnen wir einem unbedingt sehenswerten Horst Tomayer, der im Flor seines monströsen Lockenkopfs so tut, als spielte er einen Betriebsprüfer, der hartnäckig versucht, die Geschäfte des Jörg Schröderschen Verlags zu begreifen und zu durchschauen. Ihm und uns Zuschauern präsentiert sich da ein extrem aufgeräumter und schwer zur Pose neigender Verleger, der »den ganzen Muff« (Schröder) des deutschen Verlagswesens derart selbstbewußt als klein- und zugleich großkriminelle Farce, als hochnäsige und tiefkorrupte Kulturbetriebsgaunerei vorführt, daß es eine wahre, prächtige Freude ist.

 

»Die März Akte« (Absolut Medien) spielt in einer Zeit, in der Literatur – trotz ’68, trotz Zweitausendeins – immer noch als Hochkulturveranstaltung mit ganz großem L gehandelt wurde, als – wie die Bilder von der 1985er Frankfurter Buchmesse belegen – steifer Krawattenträgertreff zum Verträge- und Geschäftemachen, bei der selbstbewußte und notgedrungen größenwahnsinnige Kleinverleger wie Jörg Schröder noch mindestens wie Saboteure, Spielverderber, ja wie wilde Rock’n’Roller wirkten. Letzteren erleben wir als hauptberuflichen Selbstdarsteller, als hochbegabten Bankrotteur und genialen Erzähler; da wird mit äußerster Hingabe gesabbelt und geraucht, gelogen und gebeichtet und, was Schröder und seinen Verlag betrifft, zuletzt auch im großen Stil gescheitert – ohne daß es jedoch tragisch wirkte. Sondern eben und aus heutiger Sicht: ziemlich komisch.

 

Wie also schließlich der Finanzprüfer Tomayer zaghaft ans Krankenbett des mit Mütze und Mantel darniederliegenden Verlegers tritt, ihm eine gelbe Kindersonnenbrille schenkt und sodann, zu dessen Verblüffung und Freude, ein selbstverfaßtes Gedicht zur Gemütslage der Finanzprüfer in unserer Zeit deklamiert (»Manchmal erfaßt mich ein Sehnen / Nach Grönland und Zärtlichkeit / Doch ich muß nur das Steuerrecht kennen / Neun Meter dreißig breit«) – das sollte man unbedingt selbst gesehen haben. Die DVD liefert darüber hinaus bis in die Jetztzeit reichendes Bonusmaterial, und wer weitere Details über Umstände und Entstehung der »März Akte« zapfen will, der ist auf dem von Schröder & Kalender betriebenen Blog (http://taz.de/blogs/schroederkalender/2007/10/04/die-maerz-akte) bestens aufgehoben.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg