Humorkritik | Juli 2010

Juli 2010

Wallace, Schmidt und Bär

Die größte Entdeckung beim Reinhorchen in den Live-Mitschnitt von David Foster Wallace’ Riesenwerk »Unendlicher Spaß« (»Ein Buch als Ereignis. Mit Harald Schmidt, Maria Schrader, Manfred Zapatka und vielen anderen«), gerade erschienen im »Hörverlag«, war für mich nicht Wallace selbst. Den kannte ich bereits seit seiner legendären Alptraumschiffreportage »Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich« (TITANIC 11/03) und schätze ihn über seinen Freitod hinaus als unerschrockenen Ironiker und Fußnoten-Fetischisten. Nein, die Entdeckung war, daß Harald Schmidt – als einer von immerhin acht Vorlesern, die aufgeboten wurden, um im Schauspiel Köln ein paar Auszüge aus dem Buch zu präsentieren – nicht lesen kann, jedenfalls nicht vorlesen, jedenfalls nicht gut. Kurzatmig, hörbar überfordert von den langen, immer wieder ausufernden, opulent kreisenden Satzungetümen, leiert er seinen Textabschnitt runter, um ihn, zumindest für meine Ohren, weitgehend abzutöten. Schmidts Hauptanliegen dabei scheint zu sein, nicht wie Schmidt zu klingen, aber selbst das vermasselt er. Am Ende bleibt nur die Hoffnung, bei der eigenen Lektüre, die dessenungeachtet demnächst beginnen sollte, diesen ebenso beflissenen wie mißratenen Sound wieder aus dem Ohr zu kriegen.

 

Denn zwar ist dieser Zwei-CD-Pack mit seinen onkelhaften Publikumsbegrüßungen und dem selbstgefällig eingestreuten Kritikerpalaver, das den länglichen und zähen Gesamteindruck komplettiert, ein gutes Beispiel dafür, wie man es vielleicht nicht machen sollte – aber neugierig auf den »Unendlichen Spaß« hat es mich doch gemacht. Wallace’ Welt wimmelt nur so von Spezialspinnern und Durchgedrehten, die mit beachtlicher Drehzahl durch ein Panoptikum des Irrsinns stolpern, wobei mir manche Geschichten nicht unbekannt vorkommen. »Der Unfallbericht des Maurers« zum Beispiel, die Schilderung eines grotesken Arbeitsunfalls, findet sich wortwörtlich auch bei einem der »Jazz-Lyrik-Prosa«-Abende, die in der DDR der 60er Jahre legendär waren und im Osten bis heute volle Säle haben, dort unter dem Titel »Der Flaschenzug«, vorgetragen von Manfred Krug. Als Autor figurierte seinerzeit »anonym«. Jetzt also David Foster Wallace. Doch bevor wir hier einen neuen Fall Hegemann herbeiunken, hören wir erst einmal – nein, lesen wir uns durch die 1648 Seiten von »Unendlicher Spaß« und genießen in den Pausen die von Dietmar Bär souverän und hingebungsvoll eingelesene Hörversion von »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich« (4 CDs, Der Hörverlag).

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg