Inhalt der Printausgabe

Februar 2003


Ein Volk, ein Reich, ein Koch


Lieber Titanic-Leser,

Eine gewichtige, jahrtausendealte moralphilosophische Fragestellung ist es, die uns hier in der Redaktion seit Wochen beschäftigt und von jedweder sinnvollen Tätigkeit abhält. Daß man einen Tyrannen oder Diktator entleiben darf, um Schlimmeres zu verhüten, ist seit der Antike unter den hervorragendsten Denkern (Brutus, Thomas von Aquin, Dieter Kaufmann) unstrittig. Aber darf man ihn aus durchsichtigen und völlig eigennützigen Gründen auch - wählen?!

Martin Sonneborn, Chefredakteur
Martin Sonneborn,
Chefredakteur
Wie hat sich die Redaktion eines extrem skrupellosen Satiremagazins zu verhalten, wenn sich am 2. Februar Roland Koch (CDU) zur Wiederwahl stellt? Darf man den "Hessen-Hitler" (TITANIC) ungeachtet aller ästhetischen Bedenken und politischen Differenzen wirklich wählen, nur weil man sich eine verkaufsfördernde Gruselfigur für die eigenen Titelblätter schaffen will?
Ist das Geld, das wir nach seiner bundesweiten Machtergreifung mit einer ganzen Serie von Filmen zu verdienen gedenken ("Schweinchen Babe tobt im Bundesrat", "Babe verstört einen Visagisten", "Babe verteilt Judensterne"), nicht letzten Endes schmutziges Geld?

Die Bökels
Die Bökels: Bökel, Bökel, Bökel, Bökel, Bökels Neue, Bökel (v.l.n.r.)

Damit wir uns in dieser furchtbaren Zwickmühle moralisch nicht allzu sehr diskreditieren, haben wir gemeinsam eine vertretbare Lösung gefunden: Jeder Redakteur trifft seine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen. Und wählt dann Roland Koch.

Denn einen Vorwurf müssen wir kaum fürchten: daß wir nicht alle Alternativen durchgespielt hätten. Aber leider ist Kochs SPD-Gegenspieler "Bökel" (FAZ) selbst in seiner eigenen Partei derart unbekannt, daß sechs äußerlich doch recht unterschiedlich anmutende TITANIC-Redakteure bei ihrem Selbstversuch in hessischen Wohnzimmern - und zumal bei SPD-Mitgliedern - keinerlei Probleme hatten, als "Guten Tag, ich bin Bökel, Ihr Spitzenkandidat..." durchzugehen. Lesen Sie den ebenso verachtenswerten wie unterhaltsamen Wahlkampfbericht ab Seite 12.

Herzlichst, Ihr Martin Sonneborn





Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg