Inhalt der Printausgabe

Juli 2006


Nazi-Rundschau Juni

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           Obwohl die Sommersaison für gewöhnlich immer etwas ruhiger verläuft, können für die zurückliegenden vier Wochen sehr ordentliche Ergebnisse aus allen Landesteilen gemeldet werden – nicht zuletzt dank der tätigen Mithilfe der Bevölkerung. Im idyllischen Ribnitz-Damgarten etwa wurden zwei Jung-Nazis von Anwohnern an die Behörden übergeben, weil sie dem Vernehmen nach »aufgemuckt« hatten. Polizeiwachtmeister Chan-Miyke dankte für die gute Zuarbeit und versprach, kurzen Prozeß zu machen. Sicherlich wird die von vielen Anwesenden lautstark geforderte Höchststrafe – Rübe runter und verkehrtrum wieder drauf – dabei einmal mehr zum Zuge kommen. Kurz zuvor waren im Landkreis schon drei Nazisubjekte aufgegriffen worden – einem Fleischermeister waren ihre dummen Gesichter aufgefallen. Ein Telefonanruf genügte, und der Arm des Gesetzes griff schonungslos zu. Die drei wurden von herbeigeeilten Beamten in einen Sack gesteckt und dann immer feste mit dem Knüppel drauf, bis sich nichts mehr rührte. Der Sack wurde sodann unter freudiger Anteilnahme der Bevölkerung in einem nahegelegenen Tümpel versenkt und zuvor natürlich angezündet. Beim Eintauchen entstand ein feierlicher Moment. Ähnlich wie den drei »Säcken« erging es einer Nazisau, die in Hoyerswerda etwas zu lange und zu frech aus dem Fenster geguckt hatte. Gleich dreizehn telefonische Anzeigen liefen daraufhin bei der örtlichen Polizeidienststelle ein. Auch hier kamen die Beamten unverzüglich zur Sache: Die Wohnung wurde gestürmt, der Halunke fiel in einem Handgemenge unglücklich aus dem zweiten Stock auf die Straße (wobei beide Beine zu Bruch gingen) und wurde bei einem sich anschließenden feigen und würdelosen Fluchtversuch vor Zeugen in Notwehr erschossen (von hinten). Seine Eltern bedankten sich bei der Polizei für das rasche und entschlossene Handeln mit einem selbstgebackenen Kuchen. Ein ähnliches Schicksal ereilte vier braune Gesinnungsgenossen aus Remscheid. Bei einer Razzia im Bowling-Club »Remscheid-City« wurde die Polizei dank einem Hinweis aus dem Bowling-Milieu fündig. Das Schild »Nur für Nicht-Arier« hatten die Analphabeten angeblich übersehen. Diese allzu dumme Ausrede nützte ihnen natürlich nichts. Schon eine halbe Stunde später wurden sie unter dem Beifall vieler Remscheider und deren internationalen Gästen auf dem städtischen Marktplatz einer nach dem andern kopfüber in kochender Scheiße ersäuft. Ein Videomitschnitt dieses auch dank strahlendem Sonnenschein besonders schönen Ereignisses ist auf der Internetseite der Stadt Remscheid abrufbar (Server evtl. überlastet). Ein außergewöhnlich toller »Fang« ging der deutschen Exekutive in Sachsen-Anhalt ins Netz: gleich vierundzwanzig rechtsradikale Schlägernaturen hatten sich im Tanzsaal einer Dorfgaststätte zu einer Geburtstagsfeier zusammengerottet. Auf eine Beschwerde von Anwohnern hin (wegen abartigen Lärms und Gestanks) rückte eine Sondereinheit an, die blitzartig alle Ausgänge versperrte. Sodann schossen Spezialisten Gasgranaten ins Innere, woraufhin zügig und endgültig Ruhe eintrat. Mit einem ganz anderen Trick war die Polizei in Annaberg-Buchholz erfolgreich: Durch die fingierte »Schließung« des örtlichen Jugendclubs und die gleichzeitige geschickte Plazierung eines als Schwarzafrikaner maskierten Beamten entpuppten sich drei bislang Unbescholtene Annaberg-Buchholzer prompt als Nazifaschisten und sechs als Mitläufer. Die Polizei konnte durch den Einsatz von Bluthunden »alle Neune« rasch zur Strecke bringen, auch die Mitläufer, denn auch aus einer Nisse wird schließlich einmal eine Laus. Bei soviel Positivem drängt sich freilich die alte Frage auf: Wo bleibt das Negative? Es bleibt in – wo sonst – Brandenburg. In einem brandenburgischen Einstraßendorf nämlich kam die Polizei leider zu spät. Die Einwohner hatten schon selbst Hand angelegt und ein Rudel Deutschnationale kurzerhand in den Kleinholzhäcksler gesteckt. Die Überreste wurden einfach an die Schweine verfüttert. Von der Polizei gab es ein Lob für diese pfiffige und zugleich ökologisch einwandfreie Idee. Allerdings erging auch die dringliche Ermahnung, beim nächsten Mal das Eintreffen der Beamten abzuwarten, da diese nämlich auch gerne was zu lachen hätten. Dies zu beherzigen versprachen die Dorfbewohner nur allzu gerne…
Benjamin Schiffner

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt