»Die Tiere sind ungeheuer neugierig wie leere Menschen. Lieber Gott, was sollen sie auch tun, womit ihren Tag ausfüllen!« – »Wenn du einen Besuch erwartest und er kommt lange nicht, so nimm kalt Wasser in den Mund.« – »Jetzt hat mir’s heut nacht geträumt, ich komm’ an den See und frag’ ihn: ›Herr See, womit beschäftigen Sie sich?‹ Jetzt hat der See gesagt: ›Ich beschäftige mich damit, naß zu sein.‹ Ist das nicht ein wenig grob?« – »Höhere Tiere, gebildete Haustiere können doch recht affektiert sein.« – »Wenn ich irgendeine Amtsrechnung prüfen soll: ich weiß wohl, daß zweimal zwei vier ist; aber könnte es denn nicht ausnahmsweise einmal, zum Beispiel heute vormittag, fünf sein?«
So könnte man noch lange fortfahren und aus diesem Ungetüm von Roman eine komische Stelle nach der anderen klauben: aus Friedrich Theodor Vischers Roman »Auch Einer« nämlich, der ein Steinbruch ist voll exzentrischer Gedanken, kauziger Dialoge und absonderlicher Begebenheiten. Im Mittelpunkt dieses einst vielgelesenen Buchs, das ausgerechnet im nützlich denkenden, zweckmäßig handelnden, geregelt lebenden Bürgertum (s.o.) beliebt war, steht ein hochgradig verschrullter Charakter, der als »Auch Einer« titulierte Albert Einhart. Nicht nur gehen ihm unentwegt grillenhafte Meinungen im Kopf herum – etwa zu Kunst und Kultur: Was Othello rasend macht, ist in Wahrheit ein Schnupfen, Hamlet muß Hämorrhoiden haben, die Gotik ist ein »Frostbeulenstil« usw. usf. –, sondern er hadert vor allem unablässig mit den winzigen Widrigkeiten der Wirklichkeit, die der menschlichen Vernunft und Planungshoheit Hohn sprechen: Mal ist die Brille verlegt, mal der Schlüssel weg (»›Es war zum Rasendwerden, da finde ich ihn endlich, sehen Sie, so!‹ Er legte den Schlüssel auf das Tischchen am Bett, stellte den Leuchter darauf; der Schlüssel fand just, wie ausgemessen, Platz unter dem Leuchterfuß«), bald hängt sich ein Papier beim Umordnen an den falschen Aktenstoß und verschwindet auf Jahre in der falschen Ablage, dann wieder, als er eine Landkarte auf dem Gasthaustisch ausbreiten will, stört das Geschirr, woraufhin er dem Wirt kurzerhand die Teller und Tassen abkauft und aus dem Fenster wirft – wie am Fließband kommen diesem »schiefgewickelten Manne« die Dinge in die Quere. »Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke«, räsoniert er und weiß, daß der Mensch machtlos ist: »Wer kann nun daran denken, wer auf die Vermutung kommen, wer so übermenschliche Vorsicht üben, solche Tücke des Objekts zu vermeiden!«
Die Tücke des Objekts: das ist der Begriff, den Vischer in diesem 1879 erschienenen Roman geprägt hat. Natürlich ist die Sache älter (ich erinnere an das grimmige Märchen vom »Herrn Korbes«); aber erst Vischer hat das Walten des »kleinen Zufalls«, wie er das boshafte, unvorhersehbare Verhalten der Dinge auch nennt, als Gegenspieler der menschlichen Freiheit und Größe, ja als Prinzip der Wirklichkeit philosophisch auf den Punkt gebracht und literarisch gestaltet. Die Zeit, das neue, voll unter Dampf stehende Maschinenzeitalter, war damals reif für diesen Roman: Fehlerlos wie eine planmäßig arbeitende Maschine sollte wohl auch das menschliche Leben abschnurren.
Vischer (1807–1887), gelernter Professor für Ästhetik und ursprünglich aus der linken Hegel-Ecke kommender Philosoph, ist vielleicht noch durch seinen »Faust. Der Tragödie dritter Teil« dem Namen nach bekannt (auch wenn er diese Parodie unter dem Pseudonym »Deutobald Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky« herausbaldowerte), außerdem war er aber humoristischer Lyriker, wegweisender Kritiker, bahnbrechender Kunst- und Komiktheoretiker, ein Begründer des Realismus als Weltanschauung und Wegbereiter der realistischen Literatur; nebenbei auch liberaler Abgeordneter von 1848. Möglicherweise war er selber »Auch Einer«, denn dieser Roman-Klotz aus Reisebeschreibung, Tagebuch, Singspiel, historischer Erzählung und philosophischem Essay ist ohne autobio-graphische Würze kaum denkbar. Wäre aber vielleicht lesbarer: Denn dieses 400 Seiten schwere Objekt hat seine Tücken. Man ermüdet mit der Zeit, während man wie ein Trüffelschwein die Seiten nach extravaganten Kostbarkeiten durchwühlt. Der frühe Peter Handke dampfte einmal Kafkas »Prozeß« auf eine Erzählung von sechzehn Seiten ein, in der nichts fehlt. Und vierzig Seiten »Auch Einer« wären auch eines: genug.
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