Inhalt der Printausgabe

August 2006

SYSTEM KLINSMANN
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Die neue Fitneß
Mittwoch, 14.30 Uhr. Redakteur Oliver Nagel sitzt an seinem Schreibtisch und tippt an einem beißenden Artikel über lustige Frauenvornamen. »Unglaublich«, wundert sich sein Kollege Stefan Gärtner, »er arbeitet jetzt schon seit zwanzig Minuten ununterbrochen. Das hätte er früher nicht geschafft.« Früher, das war die Zeit vor dem »System Klinsmann« und der Bestallung eines Fitneßtrainers. Hardy Burmeier, 34, ausgebildeter Sportstudent (vier Semester), nimmt die Redaktion neuerdings hart ran: Mit den richtigen Dehnübungen lassen sich Witze über vier Seiten strecken, und eisenhartes Lachmuskeltrainig durch intensive Lektüre der Kontoauszüge von Thomas Gsella schafft entscheidende Vorteile bei jeder Redaktionskonferenz. »Die Pointen müssen schneller kommen, und die Traktatwerte müssen stimmen. Den Essay kannst du gleich noch mal schreiben! Zurück an den Schreibtisch!« Blitzschnell schleicht sogar Redaktionsoldie Mark-Stefan Tietze (45) zurück in sein Büro und dreht sich eine Fitneßzigarette aus 30 Prozent Bananenschale und 70 Prozent Ökohanf. Seit Burmeier seinen Job angetreten hat, haben sich die Fehlzeiten um die Hälfte auf durchschnittlich zwölf Wochen netto reduziert, und selbst ein Achtstundentag ist nicht mehr die Ausnahme, sondern extrem selten. »Ich will, daß die Jungs auf den Punkt, also am Heftabgabe-Freitag topfit sind«, so Burmeier. »Sonst kannst du am Kiosk nichts reißen.«

You’ll never read alone: Geschlossene Mannschaftsleistung bei der Morgenlektüre


Das neue Wir-Gefühl
Die Ringbücher sind in schwarzes Plastik gebunden, auf dem Deckel stehen in weißer Schrift geprägt der Name des Redakteurs (falsch geschrieben) und das TITANIC-Emblem. In dieses Buch kann jeder Redakteur seine Ideen hineinschreiben, z.B. Witze über Omas im Bus oder Hefttitel wie »Die hundert unschärfsten Weiber«. Die zentrale Botschaft aber steht auf der ersten Seite. Unter der Überschrift »Unsere Vorsätze« hat Motivationstrainer Hartmut Burmeise, 42, die wichtigsten Grundsätze erfolgreicher Satire zusammengefaßt – Burmeises »Wir-Regeln«:
  1. Wir wollen Spitzensatire vom Feinsten und viel Geld.
  2. Wir wissen, daß es kein Geld gibt, also wollen wir nur noch Spitzensatire vom Feinsten (Witze).
  3. Es gibt kein Wir auf Hawaii.
  4. Wer nichts wir, wir wir.
  5. Wir versaufen unser Oma ihr kein Häuschen.
  6. Wie macht das Pferd? »Wir.«
  7. Das haben wir nicht bestellt.
»Das neue Gemeinschaftsgefühl ist unglaublich«, freut sich Layout-Azubi Stephan Rürup. »Neulich hat mir Oliver Nagel sogar die Hand gegeben!« »Der soll nur herkommen«, schreit Nagel, sich konzentriert die Adduktoren kratzend, »dann hau ich ihn gemeinsam! Ich meine: zusammen.« Das Zauberwort heißt » Teamspirit«: Wer alleine auf dem Klo erwisch t wird, kriegt sofort ein paar Strafrunden Büroschlaf aufgebrummt, und selbst bei Themenkonferenzen sitzen neuerdings alle zusammen. Burmeise zitiert Saint-Exupéry: »Wenn du jemanden dazu bringen willst, ein Boot zu bauen, mußt du ihm einen Hammer geben, eine Säge, Nägel, viel Holz, Klebstoff, Tariflohn, geregelte Arbeitszeit, Urlaubsanspruch, Krankengeld und dreizehntes Monatsgehalt. Das ist doch scheiße!« »Ich wäre schon froh, wenn ich ein viertes bekäme«, ist Chefgestalter Tom Hintner vollauf begeistert. Aber auch er hängt sich mächtig rein, motiviert sich mit Musik seiner Lieblingsband Furzhupe (»The Very Best of Furzhupe«, Sony BMG) und seiner Maxime »Wernesgrüner wird’s nicht!«.
Zum neuen System gehört, daß die Redakteure immer und überall alles geben (falls nicht gerade wer für ein Geburtsgeschenk sammelt), dafür aber auch viel Freiraum genießen, ihre Frauen z.B. jederzeit anrufen dürfen. Sex in der Redaktion ist aber tabu, daran halten sich selbst Gärtner & Nagel strikt. Die regelmäßigen öffentlichen Redaktionssitzungen (Klabunt, Berger Str.) schaffen Transparenz und sorgen für ein gutes Klima zwischen den Stars und ihren Fans (ebd.). Daß Kapitän Gsella nach aufreibenden Bürotagen mit der Privatmaschine sofort in seinen Heimatort Aschaffenburg fliegt, ist längst kein Problem mehr: Es kommt allein drauf an, was hinten rauskommt (»Prominente zum Thema ›Leck mich am Arsch, Lohnsteuererhöhung!‹«).


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg