Inhalt der Printausgabe

August 2006


Humorkritik
(Seite 11 von 11)

Räuber Armbrus
»Er hat keinerlei Gewalt angewandt, er hat niemanden in irgendwelche Toiletten gestoßen. Ich bin selbst reingegangen«, führt eine attraktive Chefkassiererin aus. Eine weitere Angestellte kontert die Vorhaltungen des Staatsanwaltes (»Aber er ist Ihnen auf die Schulter getreten«) mit der Gegenthese: »Das muß aus Versehen passiert sein.« So lesen sich nur zwei Beispiele weiblichen Erfindungsreichtums, wenn es darum geht, Ungarns beliebtesten Bankräuber aller Zeiten vor juristischen Nachstellungen zu beschützen.
Attila Armbrus, geboren 1967, schafft es als gebürtiger Siebenbürger innerhalb weniger Jahre zum allseits verlachten Aushilfstorwart beim Eishockeyclub UTE des ungarischen Innenministeriums (sehr schön auf ungarisch: Belügyminisztérium). Aber irgendwann merkt er eben doch, daß die Waren- und Geldströme im Land dringend neu geordnet werden müßten, zumal Ungarn dreißig Prozent seines Bruttoinlandproduktes auf dem Schwarzmarkt umsetzt. Augenblicklich kundschaftet er genauestens sämtliche Bank- und Postfilialen sowie Reisebüros Budapests aus, sortiert seine Erhebungen nach Anzahl der Beschäftigten, Güte der Sicherheitseinrichtungen, Entfernung zur nächsten Polizeiwache, geeigneten (Taxi-)Anfahrts- beziehungsweise Fluchtwegen etc. und erwirbt Räuber-Hotzenplotz-Verkleidung.
Die nächsten sieben Jahre erbeutet er bei insgesamt neunundzwanzig Überfällen je nach Glück und Laune jeweils zwischen 890 und 200.000 Euro. Mit einer Spielzeugspistole fuchtelnd, macht er die weiblichen Bankangestellten mit ausgesuchter Höflichkeit darauf aufmerksam, daß es sich lediglich um einen Überfall handele. Zur Entschädigung für den Ärger habe er jedoch Rosensträuße und Handküsse im Angebot. Die öffentliche Meinung feiert ihn bald als Helden in der Tradition des ungarischen Freiheitskampfes. Rapper widmen ihm Songs, Mädchen geraten coram publico in eigenartige Verzückungen, und »Kriminális«, die ungarische Ausgabe von »Aktenzeichen XY ungelöst« fordert ihn freundlichst auf, »Ihre Überfälle doch bitte auf den Montag oder Dienstag zu verlegen, wenn Sie wollen, daß wir noch in derselben Woche darüber berichten«. Niemand vermutet, daß ausgerechnet ein lausiger Aushilfstorwart des erfolglosesten Eishockeyclubs der eigentliche Held dieser Aushilfsnation ist.
Die Polizei konsultiert in ihrer Ratlosigkeit sogar den angesehensten Hellseher des Landes. Kein Wunder in einem Land, dessen Bewohner einander so einschätzen: »Er lügt, sobald er den Mund aufmacht. Man kann ihm nicht einmal glauben, wenn er eine Frage stellt.« Schließlich macht auch der sympathischste Verbrecher Fehler. Sie fassen ihn und verknacken ihn zu stolzen siebzehn Jahren, die er noch bis 2016 absitzen muß.
Ich würde behaupten, dieses von Julian Rubinstein bravourös verfaßte Kraftmeierbuch (»Die Ballade vom Whiskeyräuber. Eine wahre Geschichte über Eishockey, transsilvanischen Pelzschmuggel, Banküberfälle und gebrochene Herzen.« Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins) sei erzieherisch ungemein wertvoll, denn ich konnte bereits nach wenigen Seiten mit dem Lachen nicht mehr aufhören. Schon allein aus diesem Grund werde ich es wohl ein zweites Mal lesen müssen.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg