Inhalt der Printausgabe
April 2006
Meine WM (Seite 1 von 2) |
Chancen, Wünsche und Prognosen – was ich ganz persönlich von der Fußball-WM 2006 erwarte Von Stefan Gärtner Zunächst einmal: Erwarten wir nicht zuviel. Erstens dauert’s ja noch ein bißchen (71mal schlafen), und zweitens können, wenn’s dann soweit ist, täglich zwei Spiele plus Vor- und Nachberichterstattung inklusive (hoffentlich) Monica Lierhaus zzgl. dem allhaft unermeßlichen, den allgemeinen Sprach- und Geistverlust vorbildhaft zelebrierenden Depperlduo Delling/Netzer die fern und immer ferner hinter dem Horizont rangierenden Großprojekte Weltfrieden/Springer-Enteignung/Kontoausgleich kaum ersetzen und vergessen machen; machen aber, immerhin, das Warten darauf um einiges leichter und amüsanter. Gerade auch für uns Denker und Linksfüße. Denn längst ist ja bekannt, daß Fußball viel mehr ist als Wettbetrug, Adduktorenzerrung und Kuschelsex in der Südkurve; nämlich, weit darüber hinaus, Lackmustest und Zeitansage allgemeiner gesellschaftlicher Verfaßtheit und Entwicklung. So daß Klaus Theweleit in seinem prima Büchlein »Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell« glasklar das Sozialdemokratische und Willybrandthafte der goldenen deutschen Fußball-Siebziger nachweisen konnte und der im Gegenteil obenrum auf Mario-Basler-Level operierende Dirk Kurbjuweit vom tatsächlich immer Stürmer-hafter werdenden Spiegel nach der 1:4-Klatsche gegen die Italiener vom »gestutzten Reformer« Klinsmann labern konnte, der selbstredend am reformfeindlichen Stillstand-Deutschland gescheitert sei: »Es stellt sich einmal mehr die Frage, warum dieses Land sich so schwer tut mit seinen Reformen. Woran liegt es? An den Akteuren? An den Systemen? An der deutschen Mentalität? … Es gibt keine Reformen ohne Verlierer«, und daß der aktuelle Reformverlierer aber nun grad in toto Nationalteam heißt, dem das naiv Konkurrenzfixierte (Kahn vs. Lehmann) und neoliberal feelgoodmäßige Schamanentum am Klinsmannschen »Projekt« (Süddeutsche Zeitung) ja gar nicht bekommt, ist dem Reformhammel Kurbjuweit in seinen Blödmännerphantasien dann natürlich nicht erschienen – jedenfalls hoch unwahrscheinlich, daß die Performance der deutschen Auswahl für mehr als eine durchstolperte Vorrunde und das Achtelfinale gut ist, was, trotz Spiegel, nicht am Sozialismus liegt, sondern am Grund- und Hauptproblem dieser Mannschaft: der Mannschaft. Manisch (Kahn) Depressive (Lehmann), ein paar junge Halbinvalide, die zu allem Überfluß »Lahm« heißen, und ein Rest, der nicht mal frisurtechnisch internationalem Format genügt (Frings, Schweinsteiger) – kein erfreulicher Gedanke, man müßte sich einer Operation unterziehen, und das Operationsteam bestünde aus einem wahnsinnigen Erstsemester der Tiermedizin und einer umgeschulten Krankenschwester mit Parkinson und Kreuzbandriß; aber die Operation können wir so kurzfristig nicht mehr absagen, da müssen wir jetzt durch. Und außerdem gibt’s ja noch den Michael Ballack, den »torgefährlichsten Mittelstürmer Europas« (Gremliza) – kann, wird, muß der es nicht reißen? Stellen Sie sich bitte Kent Nagano vor, wie er die Feuerwehrkapelle von Bad Bramstedt dirigiert; und fragen Sie mich dann noch einmal. Wenigstens hat ein gnädiger Fußballgott mit den Bananenstaaten Costa Rica, Ecuador und Polen keine sog. unlösbaren Aufgaben in die deutsche Vorrunde gewürfelt, die kommen erst später; und dann stelle man sich diese Aufgaben aber als Differentialgleichung mit dreißig Unbekannten vor. Diese deutsche Elf gegen England spielen zu lassen – also bitte, das ist ja wie Schwanzvergleich mit Asamoah… Aber apropos Ausland: Schön, daß das wieder mitspielt. Auch diesmal freuen wir uns auf die Ballzauberer vom Bosporus (kleiner Scherz auf Kosten unserer türkischen Leser) bzw. eben vom Zuckerhut, auf Ronaldo, Ronaldinho, Robinho, Robinaldo, Robimbo, Robocop und Robespierro, aber auch auf die disziplinierte Squadra Azurra aus »bella Italia« (D. Grünbein) mit ihrem berühmten Abwehrsperriegel, unter Kennern als »Vierergoldkette« geschätzt; nicht zu vergessen die Käsköppe aus dem Polderland, die mit ihrem Topstürmern Frans de Beukelaer und Hanno Buddenbrook zwar auch heuer nicht Weltmeister werden, aber das wieder in vollendeter Schönheit. Und – Frankreich? Was ist mit La France, der »Grande Nation« (Beckstein)? Hat der Ex-Topfavorit von damals wenigstens diesmal den Hauch einer Außenseiterchance? Das wird sich u.U. erst im Achtelfinale gegen die hochgewetteten Tunesier erweisen, die den Spielverlauf durch ein paar angezündete Mannschaftsbusse hoffentlich nicht allzusehr auf den Kopf stellen. Große Erwartungen auch in der Schweiz: Die seit dem Rösti-Schwur von 1712 erst zum achtenmal qualifizierten Hitlergeldverwalter wollen mit aller Entschlossenheit die ersten Spiele abwarten und dann mal sehn oder nach Hause fahren, das ist bislang noch sehr unheftig umstritten. Wie sich dagegen das kroatische Nationalteam vom Tod seines Ehrenspielführers »Ente« Milosevic erholen wird, steht genauso hoch in den Sternen wie das Auftreten der Australier, für die im deutschen Sommer ja Winter ist: Ob es die »Känguruhs« (Branchenspott) da im »Dezember« nicht kalt erwischt…? |
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