Inhalt der Printausgabe

April 2006




Briefe an die Leser
(Seite 11 von 13)

  Gretchen Dutschke-Klotz
   
Sir Octo (6.8.1965 – 23.2.2006)!
Wer soll denn jetzt eigentlich die Gäste auf der TITANIC-Buchmessen-Party begrüßen und moralisch unterstützen? Hast Du da mal drüber nachgedacht? Der persönliche Kontakt mit Dir war doch für viele der Geladenen der eigentliche Höhepunkt des Festes; viele gingen extra noch mal raus und kamen dann wieder rein, nur um dieses Erlebnis ein weiteres Mal zu genießen und Dich in Deinen farbenprächtigen Uniformen zu bewundern. Wer es nicht besser wußte, und das waren die meisten, mußte überzeugt sein, den Herrn TITANIC persönlich vor sich zu haben. Den Mann, der unserer Zeitschrift den Namen gab.
Ja, Octo, das warst Du. Du machtest keinen Unterschied zwischen reich und berühmt: Wer nicht auf der Einladungsliste stand, kam nicht rein. So blieb das TITANIC-Fest in den letzten zehn Jahren unter anderem von Jack Nicholson, Barbra Streisand, Helmut Kohl, Uschi Glas, Johannes Heesters, Salman Rushdie, Patrick Lindner und Anne-Sophie Mutter verschont. Schön, der Rausschmiß von Scarlett Johansson und Angelina Jolie wirkte etwas übereilt, aber das kann in der Hektik durchaus mal passieren. Und bilden wir uns das nur ein, oder warst Du das, der vor zwei Jahren einen gewissen George W. Bush vor die Türe setzte, mit den wohlformulierten Worten: »If you get out of Iraq, you might get in here«? Du warst uns Wappen, Firmenschild, Maskottchen, Kühlerfigur und Spiritus Rector in einem; wir erwogen bereits, den Heftuntertitel zu ändern in »Octos endgültiges Satiremagazin«.
Neben Deiner aufreibenden Arbeit als Festbegrüßungskomitee fandest Du aber auch noch Gelegenheit, als Zukunftsminister sinn- und segensreich zu wirken. In einer Zeit, als die meisten TITANIC-Redakteure noch mit Gänsefeder und Streusandbüchse arbeiteten, brachtest Du ihnen die Segnungen des Internets nahe. Dir lag das Digitalisieren im Blut, kein Hyperlink war Dir zu abgelegen; dabei war es für Dich selbstverständlich, die vorliegenden Texte noch einmal liebevoll zu bear beiten, gegebenenfalls zu kürzen oder mit neuen Pointen zu versehen. Für diesen Service hast Du nie eine besondere Bezahlung verlangt, noch irgendeinen Dank erwartet. Ohne Deine Vorarbeit hätten wir jedenfalls bis heute keinen Internet-Auftritt.
Wir wollen aber auch nicht vergessen, daß Du eine vollkommen neue Form der Gesprächskultur erfunden hast: Du wirst als Begründer und Vollender der Octologie in die Geschichte eingehen. Eine ebenso einfache wie wirksame Philosophie, deren drei Leitsätze lauten: Rede nur, wenn du nicht gefragt wurdest. Sprich, solange du kannst. Und: Laß dich niemals unterbrechen. Auf diesem Fundament gründeten schon bald allmonatlich die legendären »Bockenheimer Gespräche« in unseren Redaktionsräumen. Dort konntest Du als erster Mensch schlüssig erklären, was eigentlich gute Musik ist: »Eine gute Musik sollte ein Zwischenspiel haben, also nicht immer nur Strophe – Refrain, Strophe – Refrain. Das andere Kriterium ist: Es sollte möglichst nicht so oft dieselbe Klaviertaste hintereinander betätigt werden.« Viele Komponisten haben seitdem vergeblich versucht, diese einfachen Anweisungen zu befolgen. Fast alle betätigten dann doch zu oft hintereinander dieselbe Klaviertaste, und das Ergebnis war schlechte Musik. Bei einer anderen Gelegenheit stellte man Dir die Frage, ob irgendwelches Leben außerhalb unseres Sonnensystems existiere. Und Du hast geantwortet: »Ja, denn sonst gäbe es auch kein Paradies, und als gläubiger Mensch hofft man ja, daß man mal vom lieben Petrus hereingelassen wird.«
Jetzt, lieber Octo, hat er Dich also tatsächlich hereingelassen. Das war sein Fehler, denn natürlich hast Du sofort seinen Job übernommen. Trainieren konntest Du ja lange genug. Nun bist Du Türsteher und Torwächter im Himmel. Und das bedeutet: Ohne Einladung kommt da keiner mehr rein.
Du setzt uns, bitte, auf die Gästeliste?
Darum fleht Dich inständig an
Deine Titanic


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt