Inhalt der Printausgabe
April 2006
Humorkritik (Seite 8 von 11) |
Reich-Ranicki und Kraus revisited |
Nach meiner gelben Karte für sein Foul an Karl Kraus (TITANIC 2/06) scheint Marcel Reich-Ranicki in sich gegangen zu sein. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung war er mit dem Satiriker Kraus ins Gericht gegangen: »Er hatte viel Witz und wenig Humor.« Ein paar Wochen später hat Reich-Ranicki sein Urteil revidiert: »Wo gab es im neunzehnten Jahrhundert einen Lyriker, der mehr Witz und Ironie, mehr Humor gehabt hätte als Heinrich Heine, wo im zwanzigsten Jahrhundert Autoren mit mehr Pfiff und Humor als Karl Kraus und Kurt Tucholsky, als Joachim Ringelnatz und Erich Kästner?« Reich-Ranicki ist aber nur scheinbar in sich gegangen. In Wirklichkeit verhält es sich so, daß ihn sein eigenes Geschwätz von vorvorgestern (»wenig Humor«) ebensowenig interessiert wie das von vorgestern (»mehr Humor«). An den »Pfiff«, den er Karl Kraus nachgerühmt hat, wird sich dieser mittlerweile von fast allen außer mir vergötterte Literaturpapst schon morgen mittag nicht mehr erinnern können. Das viertletzte Wort hat Marcel Reich-Ranicki: »Der letzte große humoristische Roman in deutscher Sprache war, wenn ich mich nicht irre, ›Der Erwählte‹ von Thomas Mann.« Irrtum. Setzen. Sechs. |
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