Inhalt der Printausgabe

April 2006


Humorkritik
(Seite 11 von 11)

Hauptrolle für Kohl
Auf einer offenen Bühne erzählt ein etwa zwölfjähriges Mädchen afrikanischer Abstammung einen Witz: die angejahrte Geschichte vom Zauber-Schwimmbecken nämlich, das sich mit jener Substanz füllt, deren Namen jemand beim Sprung vom Dreimeterbrett ruft. Der dritte Kandidat, als Schlußpointendepp, rutscht beim Absprung aus und brüllt: »Scheiße!«
Erstmals begegnet ist mir die Ausrutscher-Schnurre als Kohlwitz: Vom seinerzeitigen Kanzler als Schlußdepp wurde die Reihe dreier Staatsoberhäupter beschlossen. Das Mädchen aber ließ, zum Abschluß einer Reihe von Repräsentanten diverser Völker, einen Afrikaner in die Scheiße stürzen – womöglich spukte ihr eine These im Hinterkopf herum, die gern kolportiert wird und deren Wahrheitsgehalt ich nicht kenne: daß nämlich der original New Yorker Stand-up-Comedian Witze über Minderheiten mache, denen er selbst angehört (Farbige, Schwule, Männer etc.). Wie auch immer, den Pointenafrikaner empfand ich als glatte Fehlbesetzung.
Bislang hat mich nie gekümmert, wer aus dem Sortiment der Ostfriesen und Österreicher, Blondinen und Mantafahrer gerade an der Reihe war, mit dem Streichholz nachzusehen, ob das Licht aus sei. Seit jeher werden Uraltscherze recycelt, indem man sie mit aktuellen Witzmoden-Figuren besetzt und als nagelneu und taufrisch vertreibt. Die häufig geäußerten Bekenntnisse à la »Kohlwitze mag ich, Blondinenwitze nicht« sind Indiz vollkommener Amnesie – dachte ich; bis mich das Erlebnis mit dem afrikanischen Mädchen lehrte, daß es für einzelne Pointen sehr wohl bessere und schlechtere Besetzungen gibt. Was den Sturz ins Fäkalbecken angeht: diese Rolle scheint dem dicken, hellhäutigen Helmut doch viel eher auf den umfänglichen Leib geschrieben. Und ein Kilo Watt holen soll sich optimalerweise nicht der Mantafahrer (wie manchmal zu hören), sondern nach wie vor der Ostfriese, aus dem naheliegenden Grund des Naheliegens.
Eigentlich verhält sich’s mit Witzen wie mit Theaterstücken: Wer die Idealbesetzung erlebt hat, mag keine andre mehr gelten lassen. Gut möglich, daß, wer mich demnächst mit einem Merkelwitz erfreuen will, von mir abwinkend beschieden wird: »Laß stecken, den hab ich mit Gorbatschow in der Hauptrolle gehört. Unübertrefflich!«



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt