Inhalt der Printausgabe

September 2005


Humorkritik
(Seite 8 von 8)

Allerlei antike Ausgrabungen

Früher war nichts besser, schon gar nicht die Komik. Der Nimbus eines berühmten Namens wie zum Exemplum Juvenal übertrifft seine Texte bei weitem; auf 150 Seiten findet man heute keinen einzigen Anlaß mehr zum Lachen. Dazu ist dieser reaktionäre Stinkstiefel, rasende Spießer und römische Sittenwächter einfach zu spießig und reak-tionär. Juvenal, der sich den Bart fusselig schimpft (ihn graust es vor lesenden Frauen ebenso wie vor Juden, Griechen, Armen, Reichen und dem Rest der Menschheit), kann nichts als altmännerhaft poltern, mäkeln und stänkern. Einen solchen, nicht wenigstens durch sonderschöne Formulierungen verzierten Stiefel aber beherrscht heutzutage jeder halbbegabte Dutzendschreiber und Groschenpolemiker. Mit anderen Worten: Hineinlesen sollte man natürlich doch! Denn nur dann weiß man aus eigener Erfahrung, daß es sich nicht lohnt, hineinzulesen.
Letztes gilt auch für ein anderes Buch, das sogar ein gekröntes Haupt zum Verfasser hat: »Der Barthasser« des byzantinischen Ketzerkaisers Julian Apostata, der sonst nur dadurch bekannt ist, daß er die antiken Götter wiederhaben wollte. Weniger bekannt ist, daß er einen Bart im Gesicht hatte und auch ein wenig Humor besaß; der »Barthasser« soll eine Selbstparodie sein und eine Satire auf die glattrasierten Bürger von Antiochia, bei denen er sich eben dadurch unbeliebt machte, daß »ich einen Bart trage wie ein Ziegenbock, während ich mein Kinn doch glatt und zart haben könnte, so wie die hübschen Jungen und die Frauen allesamt. Ihr eifert ja noch im Alter euren eigenen Söhnen und Töchtern nach, mit eurem verwöhnten Lebensstil und euren verzärtelten Gewohnheiten« – schon wird es leicht säuerlich, und überhaupt riecht das Pamphlet ziemlich streng nach Moral. »Ihr meint, man müsse aus meinem Bart Seile flechten!« ruft er aus – und hat mit dieser hübschen Hyperbel schon sein komisches Pulver verschossen, der Rest wäre besser Schweigen statt Schreiben gewesen.
Andererseits ist bekanntlich alles wahr, auch das Gegenteil – und deshalb gibt es aus der Antike doch gute Komik, wenngleich nicht unbedingt dort, wo Komik draufsteht. So stieß ich eher zufällig auf die »Charaktere« des griechischen Universalgelehrten Theophrast aus dem vierten Jahrhundert v. Chr., der in diesem kleinen komischen Handbuch der Menschenkunde einen Haufen lächerlicher Typen und unangenehmer Zeitgenossen vorführt, vom Schmeichler über den Widerlichen bis zum »Oligarchischen«.
Da ist z.B. »der Gedankenlose«, der, »wenn er viel gegessen hat und nachts aufsteht, um auszutreten«, sich mit zwanghafter Folgerichtigkeit selbst schadet, denn unweigerlich -»verirrt er sich und läßt sich vom Hund des Nachbarn beißen«. Ebenfalls mit dem Hund hat es »der Abergläubische«, denn gewahrt er ein böses Omen, so »geht er heim, badet von Kopf bis Fuß, ruft nach einer Priesterin und läßt sich mit einer Meerzwiebel oder einem jungen Hund reinigen.« Und wer möchte schon »den Taktlosen« zu Gast haben? »Das Kind nimmt er der Amme weg, kaut ihm vor und füttert es selbst, und schmatzend gibt er ihm Kosenamen und nennt es ein ›Gaunerstückchen‹ des Alten. Beim Essen erzählt er, er habe Nieswurz getrunken und sich von oben bis unten gereinigt, und schwärzer als die -Sauce auf dem Tisch sei in seinem Stuhl die Galle gewesen.« Und »der Schwätzer« wird außer von Theophrast schon von den eigenen Kindern veräppelt, »die ihm sagen, wenn sie einschlafen wollen: Papa, schwätz noch ein wenig, damit der Schlaf kommt.«
Damit Sie hingegen wach bleiben, höre ich jetzt auf.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt