Inhalt der Printausgabe

September 2005


Humorkritik
(Seite 4 von 8)

Bierfritsche

Helmut Fritsche hat 1991 nicht nur die kleine Klosterbrauerei Neuzelle übernommen und vor dem Untergang gerettet, er ist auch einer dieser Menschen mit den unvermeidlichen Philosophien, Innovationen und Visionen, ohne die ja selbst der Gebrauchtwagen-händler von gegenüber kaum mehr auszukommen scheint. Eine seiner Innovationen war die Rekreation eines Schwarzbieres klösterlicher Tradition, dem er aber »zur Veredlung« ein paar Löffel Zucker pro Flasche zusetzte. Klar, daß kurz nach Erstauslieferung dieses »Bieres« das bran-denburgische Landwirtschaftsministerium auf den Plan trat und den weiteren Ausschank zu hintertreiben suchte.
Nun kann ich mir den folgenden prozessualen Hickhack ganz amüsant vorstellen, und für eine Frontberichterstattung wären Lokalzeitungsseiten bestimmt der richtige Ort. Rechtschaffene, anständige Bürger hätten einen Grund, in Leserbriefen den Amtsschimmel, die Steuerverschwendung und all das zu verfluchen, worin die Vorboten des Untergangs unseres Abendlandes vermutet werden können, dazu eine launige Holzschnittkarikatur aus den Zeiten von Anno Hopfentopf, fertig. Helmut Fritsche aber war das nicht genug, ihn plagte die Vision eines richtig herrenwitzigen Buches (»Der Bierkrieg. Im Fadenkreuz der Bürokratie«, Verlag der Nation), und weil kein anderer mittat, verfaßte er es auch ganz alleine selber.
Er hätte es nicht tun sollen. Aller Erfahrung nach wird ein leidlich absurder Vorgang eben nicht dadurch komisch, daß man ihn mit begrenztem Ausdrucksvermögen bis zum Erbrechen auswalzt. Denn wer käme heute sonst auf die Idee, zweihundert Seiten lang eine »Beamtenposse« zu protokollieren, sie »Realsatire« zu nennen und um »witzige Hörfunkspots« und das »originelle Protestlied« »Give Beer A Chance« zu ergänzen, deren Wortlaut ich wegen braupolizeilicher Sperrung an dieser Stelle nicht wiedergeben darf.
Zusätzlich mußte ich einige fehlerhaft ausgegorene Reflexionen des Philosophen Helmut Fritsche erdulden, der bestimmte deutsche Tugenden wieder mehr ans Licht gerückt sehen möchte und, wie alle neofaschistischen Mittelstandsparanoiker, überall im Land einen »linken Zeitgeist« am unmoralischen, ergo wirtschaftsfeindlichen Teufelswerk sieht. Es ist also mindestens tausendmal von beidem abzuraten: von Buch und Bier.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt