Inhalt der Printausgabe

September 2005


Humorkritik
(Seite 3 von 8)

Nihilistische Loony Tunes

»Nie zuvor waren boshaftes Pathos und elende Laune so verdammt witzig. Peanuts für Paranoide und Popeye für den Postmodernen.« So reißerisch buchrückenkonform, gleichwohl inhaltlich zutreffend beschreibt der amerikanische Comicverlag Fanta-graphics Books seinen verschrobenen Witze-zeichner Kaz und dessen mittlerweile sechs Buchbände. Seit dreizehn Jahren veröffentlicht der in heruntergekommenen New -Yorker Seventies-Punkrockschuppen sozialisierte Ex-Junkie mit dem komplizierten bürger-lichen Namen Kazimieras G. Prapuolenis und dem bürgerlichen Beruf eines Autors und Zeichners für Nickelodeon und Cartoon Network nun schon seinen wöchentlichen Comicstrip »Underworld« in diversen alternativen Zeitungen quer durch die USA. Von erfolgreichen klassischen Comics unterscheidet sich »Underworld« weder formal noch ästhetisch: Im jeweils letzten der vier Panels steht die Pointe, die schwarz-weißen Zeichnungen sind liebevoll und detailliert.
Ob der Differenz zwischen Form und Inhalt blieb Kaz bisher jedoch außerhalb einer überschaubaren Szene von größerem Ruhm verschont, renommierte Zeitungen schreckt er mit seiner urbanen Unterwelt bewußt ab: Heroinsüchtige, Obdachlose und Mörder sind seine menschlichen, menschenähnlichen oder gleich tierischen Hauptfiguren, die noch dazu aussehen wie verstoßene Zwillinge von Tweety, Popeye & Co. Hätten die debilen, aber gerade deswegen sympathischen, Protagonisten wie Creep Rat, Shy Boy oder Smoking Cat (Leitspruch: »Achtung! Rauchen wird dich cool aussehen lassen, während es dich tötet«) nicht ganz so viele Totenkopftätowierungen oder Pickel, könnten sie vom Fleck weg Hauptrollen bei Loony Tunes übernehmen. Im Gegensatz zu vielen Comics mit ähnlicher Thematik ist Kaz jedoch tatsächlich witzig und funktioniert nicht nur als verbotene Schulliteratur für 16jährige Slacker, auch wenn der wöchentliche Veröffentlichungsrhythmus dazu führt, daß nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch einige Pointen wiederkehren.
Sehr empfohlen sei an dieser Stelle die Homepage von Kaz: Auf kazunderworld.com finden sich neben eingescannten Haßbriefen von Fans und Privatfotos mit Paul Auster oder Art Spiegelmann auch mehr als zweihundert Folgen von »Underworld«. Bei aller Brutalität und oft auch pubertärer Banalität ist Kaz stets dann am witzigsten, wenn er seine Antihelden mit ihrer trostlosen Situation konfrontiert und Gewalt durch Melancholie ersetzt. So etwa, wenn das kleine, dick bebrillte Mädchen neben einem Polizisten auf dem Berg steht, einen riesigen Naturpark überblickt und sich den Kummer von der Seele heult: »Glauben Sie, ich werde meine Mama und meinen Papa jemals wiederfinden?« – »Ich weiß nicht, Schätzchen. Es gibt viel Platz da draußen, wo sie sich verstecken könnten.«


    1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8   


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt