Inhalt der Printausgabe

September 2005


Humorkritik
(Seite 2 von 8)

Komischer Brinkmann

Als dezidiert komischer Autor ist der 1975 bei einem Verkehrsunfall zu Tode gekommene Dichter Rolf Dieter Brinkmann weder zu seinen Lebzeiten in Erscheinung getreten noch bis heute wahrgenommen worden. In seinem Hauptwerk, dem nachgelassenen und jetzt in einer erweiterten Neuausgabe im Rowohlt Verlag erschienenen Gedichtband »Westwärts 1&2«, herrschen melancholische bis verzweiflungsvolle Molltonarten vor, und wer intensiv in Trauer, Weltekel und Menschenhaß schwelgen möchte, wird auch in den posthum veröffentlichten Nebenwerken auf seine Kosten kommen, wenn Brinkmann mit seiner Generation abrechnet, mit Köln und Rom und Vechta, mit seiner Familie, mit einer häßlichen Texaco-Tankstelle, mit dem gesamten christlichen Abendland und manchmal auch mit sich selbst, nachdem er wieder einmal in sein mit dreckigem Geschirr gefülltes Spülbecken uriniert hatte.
In den frühen Siebzigern krebste der mit fast aller Welt und nicht zuletzt dem westdeutschen Literaturbetrieb auf Kriegsfuß stehende Brinkmann in Köln recht armselig dahin. Vermutlich wären seine phantastischen literarischen Haßausbrüche glimpflicher verlaufen, wenn er ein bißchen mehr Geld auf der hohen Kante gehabt hätte. (Marcel Reich-Ranicki hat die Öffentlichkeit vor kurzem darüber informiert, daß er persönlich Brinkmann »entdeckt« habe. Nanana. Sind die Entdecker nicht vielmehr Renate Matthaei, Dieter Wellershoff und Jörg Schröder gewesen? Und was hat MRR, dieser schon damals unermeßlich einflußreiche Strippenzieher und Preiseverteiler, für olle RDB getan, als der in Köln als Nullnummer von Dosennudeln und der Hand in den Mund lebte? Raten Sie mal.)
Eines schönen Tages im Jahre 1973 aber wurde Brinkmann vom WDR aufgefordert, ein Tonband in seinen Alltag als Autor mitzunehmen. Unter dem affigen Titel »Wörter Sex Schnitt« sind Brinkmanns bizarre Tonkonserven jetzt von Intermedium Records im 5-CD-Schuber ediert worden. Die Aufnahmen sind bisweilen nervtötend, aber oft auch überraschend und berauschend komisch, vor allem dann, wenn Brinkmann beim hektischen Her-umlaufen wie Rumpelstilzchen allen Haß auf seinen fiesen Wohnort Köln hinausramentert, auf der Straße, wo er den Lärm von Schwerlastern überschreien muß: »Ein gelb-schmutziger Himmel, der überhaupt nicht aufhört … ein gelb-schmutziger Himmel, der überhaupt nicht aufhört in diesem Augenblick … ein gelb-schmutziger Himmel … ein gelber, schmutziger Himmel … ein gelber, schmutziger Himmel … ein gelber, schmutziger Himmel … ein mieser, gelber, dreckiger, schmutziger Kölner Himmel … ein mieser Himmel … ein verdammter Scheißdreck von Himmel … ein mieser, gelber, schmutziger Kölner verfluchter, elender Kackhimmel … ein von Lichtfetzen zerkackter Himmel … ein mieses Stück von Himmel … ein Kackhimmel … ein riesiger Scheißdreck von Himmel jetzt in diesem Augenblick, an dieser Bahnstelle, entlang der Bahn … zwischen diesen toten Bäumen … vor der Stadt … ringsum Häuser … Kästen … ein elendes Miststück von Himmel … ein mistig gefärbter Scheißdreck … ein Scheißdreck … ein Scheißdreck … überall ein Scheißdreck … ein elender Mistdreckhimmel …«
Da ist Rolf Dieter Brinkmann in seinem Element und so komisch wie nur je eine krachmeiernde Figur aus dem Repertoire von Gerhard Polt. Ich habe mir diese Passage schon öfter angehört und lache mich jedesmal wieder schief dabei. Das wäre nicht in Brinkmanns Sinn, fürchte ich, aber so ist es nun mal. Mein Angelschein ist auch an den Ufern von Gewässern gültig, in denen das Groteske in das Grausige verschwimmt.

 

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt