Inhalt der Printausgabe

Oktober 2005


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

OTZ & Reiner Karg

Oft genug hat mich, unterwegs im Beitrittsgebiet, die morgendliche Zeitungslektüre glauben machen, die in Gera erscheinende Ostthüringer Zeitung (OTZ) sei die dümmste Tageszeitung dieser Welt. Nie gab es in der an Zumutungen gewiß nicht armen Geschichte des »Preßwesens« (K. Kraus) ein dergestalt ahnungsfrei auftrumpfendes Ellipsengeschmiere, so daß ich der festen Überzeugung bin, die Osttthüringer »Redakteure« malten lediglich von der tagszuvorigen Bildzeitung ab, und dies obendrein fehlerhaft. Gäbe es da nicht eine wunderbare, in sämtlichen Farben des Unsinnsspektrums funkelnde Leserbriefseite, konzis-packende Unfallmeldungen uuuuuuuund: Reiner Karg.
Dieses vielversprechende (junge?) Talent sondiert gelegentlich satirische Veranstaltungen und liefert vertraute lexische Zutraulichkeiten, die so nur noch in der Ostthüringer Zeitung Denkmalschutz genießen. Beispiele? Bitte:
Anläßlich einer Darbietung des Dresdner Kabaretts »Lachkarte« fand Kollege Karg heraus: »Da wird den ach so kritischen Zeitgenossen ein unbequemer Spiegel vorgehalten« und selbstverständlich auch »Klartext hinterfragt. Spaß und Humor bleiben da nicht aus« – na bitte. Was gibt es noch? »Hiebe nach allen Seiten, aber niemals unter die sprichwörtliche Gürtellinie.« Und außerdem? »Selten sieht man Kabarettisten so gekonnt schlagfertig im spontanen Frontalkontakt mit dem Publikum wider den Stachel löcken.« Klasse! Dieser Mann weiß noch, wovon er wie spricht. Sein Resümee? »Skurril-Entertainment vom Allerfeinsten. Situationskomik im Kontext von realexistenter Wirklichkeit.« Bravo!
Die »Backgrounders« aus Chemnitz bieten was? Sehr wohl: »witzigen Ulk, in Szene gesetzte Komik, die die Zuschauer lachen macht«. Und wie findet der überhaupt nicht wortkarge Reiner den Doyen aller wahrhaft großen Satiriker, the one and only Fips Asmussen? »Nachdenklich« zunächst, aber er »brilliert in seiner ganz eigenen Sicht«, agiert außerdem mit »gnadenloser Selbstironie und Pointengewitter«, wobei er sich »immer wieder auf sein lachendes Publikum in geistvoll produktivem Miteinander einstellt«. Das wäre nun ein prima Stichwort für die dummgebeutelte Ostthüringer Zeitung: Liebe Chefredaktion, mache Fips Asmu…, korrigiere: Reiner Karg zum Chefkommentator, damit Du Dich endlich auf Dein lesendes Publikum in geistvollem Miteinander einstellen, in Deiner ganz eigenen Sicht der Dinge, im Kontext von realexistenter Wirklichkeit vielleicht, brillieren kannst.

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt