Wenn man, wie der emeritierte Sozialwissenschaftler Gert Raeithel, ein Buch mit dem Titel »Die Deutschen und ihr Humor« (dtv) vorlegt, muß man damit rechnen, daß ein Leser wie ich bestimmte Erwartungen hegt. Zum Beispiel, der Autor werde sich zu Fragen äußern wie der, ob die Deutschen überhaupt Humor haben und wenn ja, wodurch der sich auszeichnet und von dem etwa der Dänen, Letten oder Chinesen unterscheidet; ob sich dieser deutsche Humor im Lauf der Weltgeschichte verändert hat und wenn ja, wie; ob es unterschiedliche Spielarten deutschen Humors gibt usw. usf.
Man muß sich als Autor freilich um derartige Lesererwartungen nicht groß scheren, so wie sich Herr Raeithel auch um allerlei anderes nicht groß schert, um Fakten, Rechtschreibung und ähnliche Bagatellen. Man muß als Autor also nicht groß überlegen oder gar nachschlagen, ob Jonathan »Frantzen«, Adolf »Glasbrenner« oder »Eckart« Henscheid nicht vielleicht doch anders geschrieben werden, ob im Alphabet »Johann Beer« tatsächlich vor »Franz Beckenbauer« kommt, »Heinz Erhardt« vor »Günter Eich« und »Konrad Lorenz« vor »Kay Lorentz«, ob man glaubt, Andreas Gryphius’ Figur Peter Squentz heiße »Michael« Squentz und Zuckmayers Hauptmann von Köpenick »Vogt« statt »Voigt«. Dann behauptet man auch bedenkenlos, Witzenhausen sei »ein imaginärer Ort«, Kleist habe Kurzgeschichten geschrieben und wendet die wie auch immer neue deutsche Rechtschreibung konsequent auf jedes noch so historische Zitat an.
Was das inhaltlich Substantielle betrifft, muß man sich dann auch keine Gedanken mehr machen, obwohl oder weil man ja schon diverse Publikationen zum Thema Humor hervorgebracht hat. Es wäre ja immerhin eine Überlegung wert, ob ein Satz wie »Humor lagert sich ab am Narrensaum der Geschichte« nicht eine Ablagerung unfreiwilliger Komik ist; ob die These »Die Anekdote macht große Schlachtenlenker sympathisch« nicht großer unsympathischer Unfug ist; ob nicht vielleicht zwischen »Judenwitzen« und »jüdischen Witzen« ein kleiner, aber äußerst feiner Unterschied besteht. Es ist alles egal.
Denn um welcherart Witze es geht (und verstehe ich Raeithel richtig – was zugegebenermaßen recht schwierig ist –, dann besteht deutscher Humor aus einerseits Witzen und andererseits dem guten alten politischen Kabarett), ist auch wumpe, Hauptsache, man kann ganz viele nacherzählen. Das tut Raeithel denn auch: Thematisch prima gegliedert in Kapitel wie »Autofahrer« »Ausländer« oder »Häschen und andere Tiere« kippt er sein Füllhorn an Namen und Witzbeispielen ohne den geringfügigsten Ansatz von System oder begrifflicher Klarheit über der Leserschaft aus, ein atem- und zusammenhangloses Joke- und Namedropping, schludrig runtergeschrieben, beliebig und vage und auf seine Weise dann schon wieder grandios: »Georg Christoph Lichtenberg war ein unverbesserlicher Kuriositätenjäger«; »Kurt Tucholsky war am Sinn der Satire verzweifelt«; »Die Gewalttaten der Baader-Meinhof-Gruppe hatten einen Sarkasmus befruchtet, der Spuren von Sympathie erkennen ließ«; »Wolfgang Neuss und Matthias Richling teilen sich die Erfindung des Bundesnebenverdienstkreuzes«; »Gerade als ich dies schreibe, stürzt (sich) eine schwer alkoholisierte Seriendarstellerin vom Dach ihres Hauses in den Tod«; »Mit steigender Lebenserwartung vergrößerte sich in der Bundesrepublik die Angriffsfläche für Satiriker« – gewiß wollen mir solche »Sätze« etwas sagen. Aber was?
»Manchmal brauchte man nur einen alten Hitlerwitz umzuändern, und fertig war der Ulbrichtwitz. Ihm und Erich Honecker wurde zum Vorwurf gemacht, den Konkurrenzkampf mit der BRD verloren zu haben.« Wer macht hier dem armen Hitler- und/oder Ulbrichtwitz den Vorwurf, der BRD unterlegen zu sein? Und warum raunt Raeithel vom »›Hohlspiegel‹ eines Hamburger Nachrichtenmagazins« und schreibt nicht einfach Spiegel? Warum wird mehrfach ein »Akademischer Rat aus Konstanz« rsp. »Konstanzer Angehöriger des akademischen Mittelbaus« vorgeführt und nicht einfach der Name Hermann Kinder hingeschrieben? Vielleicht, weil Raeithel Kinder nicht mag?
Und daß beispielsweise F.W. Bernstein oder der »Hamburger Clown Otto Waalkes« nur je einmal erwähnt werden, während der »zu Unrecht vergessene Satiriker Karl Hoche« laut Register siebenmal mit äußerst bräsigen Humoristikbeispielen vorkommen darf, daß das Thema Nonsens nicht einmal auch nur gestreift wird – ach, genug. Es ist halt ein übel runtergerotztes Machwerk, das man nicht mal mit einer Portion wohlwollenden Humors lesen kann.
Und Gott sei Dank muß das ja niemand tun. Ein Lektor hat’s schließlich auch nicht gemacht. So daß uns dieser schöne Satz zum Glück erhalten geblieben ist: »Manche Sätze entstammen einer nicht jedermann zugänglichen Gehirndomäne.«
Und das stimmt ja auch.
|