Inhalt der Printausgabe

Oktober 2005


Humorkritik
(Seite 3 von 8)

Raeithels Humorgeschichte

Wenn man, wie der emeritierte Sozialwissenschaftler Gert Raeithel, ein Buch mit dem Titel »Die Deutschen und ihr Humor« (dtv) vorlegt, muß man damit rechnen, daß ein Leser wie ich bestimmte Erwartungen hegt. Zum Beispiel, der Autor werde sich zu Fragen äußern wie der, ob die Deutschen überhaupt Humor haben und wenn ja, wodurch der sich auszeichnet und von dem etwa der Dänen, Letten oder Chinesen unterscheidet; ob sich dieser deutsche Humor im Lauf der Weltgeschichte verändert hat und wenn ja, wie; ob es unterschiedliche Spielarten deutschen Humors gibt usw. usf.
Man muß sich als Autor freilich um derartige Lesererwartungen nicht groß scheren, so wie sich Herr Raeithel auch um allerlei anderes nicht groß schert, um Fakten, Rechtschreibung und ähnliche Bagatellen. Man muß als Autor also nicht groß überlegen oder gar nachschlagen, ob Jonathan »Frantzen«, Adolf »Glasbrenner« oder »Eckart« Henscheid nicht vielleicht doch anders geschrieben werden, ob im Alphabet »Johann Beer« tatsächlich vor »Franz Beckenbauer« kommt, »Heinz Erhardt« vor »Günter Eich« und »Konrad Lorenz« vor »Kay Lorentz«, ob man glaubt, Andreas Gryphius’ Figur Peter Squentz heiße »Michael« Squentz und Zuckmayers Hauptmann von Köpenick »Vogt« statt »Voigt«. Dann behauptet man auch bedenkenlos, Witzenhausen sei »ein imaginärer Ort«, Kleist habe Kurzgeschichten geschrieben und wendet die wie auch immer neue deutsche Rechtschreibung konsequent auf jedes noch so historische Zitat an.
Was das inhaltlich Substantielle betrifft, muß man sich dann auch keine Gedanken mehr machen, obwohl oder weil man ja schon diverse Publikationen zum Thema Humor hervorgebracht hat. Es wäre ja immerhin eine Überlegung wert, ob ein Satz wie »Humor lagert sich ab am Narrensaum der Geschichte« nicht eine Ablagerung unfreiwilliger Komik ist; ob die These »Die Anekdote macht große Schlachtenlenker sympathisch« nicht großer unsympathischer Unfug ist; ob nicht vielleicht zwischen »Judenwitzen« und »jüdischen Witzen« ein kleiner, aber äußerst feiner Unterschied besteht. Es ist alles egal.
Denn um welcherart Witze es geht (und verstehe ich Raeithel richtig – was zugegebenermaßen recht schwierig ist –, dann besteht deutscher Humor aus einerseits Witzen und andererseits dem guten alten politischen Kabarett), ist auch wumpe, Hauptsache, man kann ganz viele nacherzählen. Das tut Raeithel denn auch: Thematisch prima gegliedert in Kapitel wie »Autofahrer« »Ausländer« oder »Häschen und andere Tiere« kippt er sein Füllhorn an Namen und Witzbeispielen ohne den geringfügigsten Ansatz von System oder begrifflicher Klarheit über der Leserschaft aus, ein atem- und zusammenhangloses Joke- und Namedropping, schludrig runtergeschrieben, beliebig und vage und auf seine Weise dann schon wieder grandios: »Georg Christoph Lichtenberg war ein unverbesserlicher Kuriositätenjäger«; »Kurt Tucholsky war am Sinn der Satire verzweifelt«; »Die Gewalttaten der Baader-Meinhof-Gruppe hatten einen Sarkasmus befruchtet, der Spuren von Sympathie erkennen ließ«; »Wolfgang Neuss und Matthias Richling teilen sich die Erfindung des Bundesnebenverdienstkreuzes«; »Gerade als ich dies schreibe, stürzt (sich) eine schwer alkoholisierte Seriendarstellerin vom Dach ihres Hauses in den Tod«; »Mit steigender Lebenserwartung vergrößerte sich in der Bundesrepublik die Angriffsfläche für Satiriker« – gewiß wollen mir solche »Sätze« etwas sagen. Aber was?
»Manchmal brauchte man nur einen alten Hitlerwitz umzuändern, und fertig war der Ulbrichtwitz. Ihm und Erich Honecker wurde zum Vorwurf gemacht, den Konkurrenzkampf mit der BRD verloren zu haben.« Wer macht hier dem armen Hitler- und/oder Ulbrichtwitz den Vorwurf, der BRD unterlegen zu sein? Und warum raunt Raeithel vom »›Hohlspiegel‹ eines Hamburger Nachrichtenmagazins« und schreibt nicht einfach Spiegel? Warum wird mehrfach ein »Akademischer Rat aus Konstanz« rsp. »Konstanzer Angehöriger des akademischen Mittelbaus« vorgeführt und nicht einfach der Name Hermann Kinder hingeschrieben? Vielleicht, weil Raeithel Kinder nicht mag?
Und daß beispielsweise F.W. Bernstein oder der »Hamburger Clown Otto Waalkes« nur je einmal erwähnt werden, während der »zu Unrecht vergessene Satiriker Karl Hoche« laut Register siebenmal mit äußerst bräsigen Humoristikbeispielen vorkommen darf, daß das Thema Nonsens nicht einmal auch nur gestreift wird – ach, genug. Es ist halt ein übel runtergerotztes Machwerk, das man nicht mal mit einer Portion wohlwollenden Humors lesen kann.
Und Gott sei Dank muß das ja niemand tun. Ein Lektor hat’s schließlich auch nicht gemacht. So daß uns dieser schöne Satz zum Glück erhalten geblieben ist: »Manche Sätze entstammen einer nicht jedermann zugänglichen Gehirndomäne.«
Und das stimmt ja auch.

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg