Inhalt der Printausgabe

Mai 2005


UMWELT KONTROVERS
TITANIC-Feinstaubforum
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Montag nachmittag. Alle sitzen am Konferenztisch. Es gibt Wasser, Kaffee und Gebäck. Nervöses Schweigen. Denn gleich spricht

SONNEBORN: So, Herrschaften, was machen wir fürs neue Heft?
GÄRTNER: Feinstaub. Ich meine, irgendwas über Feinstaub. Das ist jetzt das Thema. Viele Städte in Deutschland verletzen da den neuen EU-Grenzwert: München, Stuttgart, Augsburg. Frankfurt auch. NAGEL lebt z.B. am dreckigsten Ort Deutschlands.
NAGEL: Tut mir leid, wir renovieren grade, da fliegt halt alles rum…
GÄRTNER: Nein, ich meine die Friedberger Landstraße. Wo du wohnst.
GSELLA: Du renovierst?
NAGEL: Ja, das Wohnzimmer wird das neue Schlafzimmer, das Schlafzimmer wird das neue Eßzimmer, und Kathrin wohnt dann neben der Küche.
HINTNER (weise): Ein emanzipierter Haushalt.
GÄRTNER: Jedenfalls wohnt NAGEL in der schmutzigsten Straße Deutschlands. Das ist 'n Fakt. Das ist 'ne Riesenbelastung für Herz und Kreislauf, wenn man soviel Verkehr hat.
NAGEL: Meine Rede. Aber erzähl das mal meiner Frau!
GÄRTNER: Autoverkehr. Vor dem Fenster. Feierabendstau und so.
TIETZE (fröhlich): Na, da fehlt dann wohl ein Feinstauberater!
RÜRUP (begeistert): Ja, und neue Krenzwerte! Also, für Ostberlin jedenfalls.
SONNEBORN: Ich schlage vor, wir machen eine Reportage: "Frankfurt, Drecksstadt mit Herzinfarkt". Oder eine Aktion? Wir könnten uns ja auf die Friedberger Landstraße stellen und Fragebögen austeilen, als Umweltgruppe oder so…

Einige Minuten hört man nur den Filzer, mit dem NAGEL Strichfiguren auf seinen Notizzettel malt.

TIETZE: Oooooch, ich weiß nicht…
WERNER: Ich war diesen Monat schon auf der Straße.
GSELLA: Ich auch. Zweimal! Einmal zum Einkaufen, und das andere Mal bin ich aus so einem… Lokal… äh…
NAGEL (taktierend): Dann lieber eine Telefonaktion in der Ostzone: Guten Tag, Sonneborn vom Feinstaubministerium, wie oft stauben Sie denn bei Ihnen zu Hause das Führerbild ab?
GSELLA: Was ist denn dieser Feinstaub überhaupt?
GÄRTNER: Jedenfalls nicht das, was bei dir zentimeterdick auf dem Schreibtisch liegt. (belehrend) Feinstaub, das kommt von der Industrie, vom Rasenmähen und aus den vielen Dieselmotoren ohne Filter…
GSELLA (listig): Ich rauche ja mit Filter!
TIETZE: Aber andererseits wirbelst du auch verdammt viel Staub auf!
RÜRUP: Und deine Witze sind ja auch total verstaubt!
NAGEL: Wenn man auch keinen Artikelfilter hat!
GÄRTNER (unverdrossen): …das sind ganz kleine Partikel, die dir so richtig in die Lunge rauschen. Wenn da der Krenz…, quatsch: Grenzwert an mehr als 35 Tagen im Jahr überschritten ist, dann passiert irgendwas. Dann gibt's eine EUStrafe und Fahrverbote oder so. Man darf dann nicht mehr nach Frankfurt reinfahren.
SONNEBORN: Wer will schon nach Frankfurt reinfahren, in diese Drecksstadt. Ich möchte aus Frankfurt immer nur rausfahren.
NAGEL: Mein Auto fährt sowieso nicht. Wenn ich für jeden Meter, den die Karre nicht gefahren ist, auch nur 1000 Euro bekommen hätte, säße ich jetzt nicht hier!
GÄRTNER: So ein Fahrverbot gilt dann eh nur für Diesel. Wegen dem scheiß Ruß.
WERNER: Das hat mein Opa auch immer gesagt!
RÜRUP (glucksend): Man könnte glauben, wir leben in Rußland!
TIETZE (begeistert): Oder in Staubing!
STANIEWSKI: Aber wenn man raucht, ist das dann mit dem Feinstaub nicht sowieso egal?
GSELLA: Eben. Da bin ich sowieso über dem Grenzwert. Und zwar das ganze Jahr! Da können mir die Wichser in Brüssel ruhig Fahrverbot erteilen. Da steck ich mir in Ruhe eine an! (steckt sich in Ruhe eine an)
NAGEL: Ich gewöhn' mir das Rauchen jetzt eh ab. Mir wird das zu teuer. Wenn man sich mal überlegt, was man mit dem gesparten Geld alles machen kann!
HINTNER: Dafür rauchst du doch viel zuwenig. Du und Gärtner, ihr raucht ja eh nicht richtig. Ihr seid ja totale Rauchversager. Wenn du aufhörst, das reicht dann höchstens für… was weiß ich…
TIETZE: Du könntest dir ja das Biertrinken abgewöhnen. Dann reicht's für 'ne Eigentumswohnung!
SONNEBORN: Ein Einfamilienhaus!
RÜRUP: Ein Schloß!
HINTNER: Mit Garten! Hahahahahahaha!
SONNEBORN: Gut, dann machen Gärtner und NAGEL was über Feinstaub. So vier, fünf Seiten. So eine fiktive Reportage, wo dann ein Anwohner z.B. sagt: "Ich hab nix gegen Feinstaub, aber ich hatte auch nix gegen den Zweiten Weltkrieg!" Mehr so zynisch halt.
GÄRTNER: Du hattest nix gegen den Zweiten Weltkrieg?
SONNEBORN: Nur gegen das Ende.
NAGEL: Das soll ruhig GSELLA mal machen. Der weiß doch, wie das ist, wenn man keine Luft mehr kriegt.
GSELLA (listig): Luft? Was soll das denn sein? Das hatte ich ja schon ewig nicht mehr!
WERNER: Mein Sohn ist noch so klein, der kriegt die Abgase praktisch direkt ins Gesicht geblasen.
RÜRUP: HINTNER auch!
STANIEWSKI: Wie muß man sich das denn vorstellen? Ist das dann wie beim Sommersmog? Daß sich da ältere Leute nicht bewegen dürfen?
TIETZE: Dann ist ja für dich das ganze Jahr Sommersmog!
RÜRUP: Da kannst du ja gleich ins Smogkonzert gehen!
SONNEBORN: Wir können auch eine PARTEIAktion machen: "Niemand hat die Absicht, eine Feinstaubmauer zu bauen außer uns!" Dann stellen wir uns in unseren Anzügen auf die Friedberger Landstraße und…
RÜRUP (immer haltloser): Oder wir machen so eine Seite mit Verkaufsanzeigen: "Jetzt im Angebot: Feinstaubtücher!"
GSELLA: Oder Feinstaubsauger!
HINTNER: Gegen die Feinstaubmäuse.
NAGEL (souverän): Der Feindstaub unter meinem Bett…
TIETZE: Das ist doch wieder nur was für die feine Gesellschaft!
NAGEL: Und für uns Proleten bleibt nur der Unfeinstaub…
GÄRTNER: Jedenfalls kommt dieses Wort plötzlich dauernd in den Nachrichten: Feinstaub. Kannte man vorher gar nicht so, das Wort. Plötzlich sind da Wörter, die man gar nicht kannte, und schon hat man wieder ein Problem mehr.
NAGEL: Hygiene!
HINTNER: Abstinenz!
STANIEWSKI: Arbeit!
TIETZE: Komik!
SONNEBORN (gegen den anhebenden Tumult anredend): Okay, ich schreib jetzt mal "Superdrecksstadt Frankfurt" auf, da können wir ja morgen noch mal drüber reden…
GÄRTNER (zu HINTNER): TopLayout!
HINTNER: Oder Bierverbot! Hahahahahahaha!

(zügig ausblenden)


Stefan Gärtner


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick