Inhalt der Printausgabe

März 2005


Humorkritik
(Seite 2 von 6)

Altdamenphantasien
Es fällt nicht immer leicht, den Fehler des Kollegen Reich-Ranicki zu vermeiden, einer Kollegin vorzuwerfen, sie habe einfach keine Ahnung von Literatur, zumal dann nicht, wenn das Thema Erotik eine tragende Rolle dabei spiele. Als ich in der Frankfurter Allgemeinen die Kritik von Elke Heidenreich an Gabriel Garcia Márquez' letztem Roman "Erinnerung an meine traurigen Huren" (Kiepenheuer & Witsch) gelesen hatte, war ich durchaus versucht, die Rezensentin für schlicht bescheuert zu halten und dies auch öffentlich zu erklären. Aber so einfach mache ich es mir natürlich nicht - eine öffentliche Erklärung muß aber sein, denn es geht wieder einmal um Komik und mangelndes Verständnis für deren Spielarten.
Für Heidenreich ist "dieser Roman an Widerwärtigkeit kaum zu überbieten". Abgesehen davon, ob sie in diesem speziellen Fall zufällig recht haben sollte, stellt sie das Buch nun aber in blindem Eifer "in die Reihe der Altherrenphantasien von Nabokovs ›Lolita‹" - Moment! Laut Heidenreich gehört also Nabokov neben Philip Roth, John Updike u.a. zu einer Spezies widerwärtiger Johannistriebtäter, und die "lassen im Alter plötzlich noch mal - ja, die Sau raus und beschreiben, wovon sie heimlich unter der Bettdecke träumen". Daß Sauereien bei Updike oder Roth so plötzlich kommen, kann nur behaupten, wer ihr früheres Werk in einer gereinigten Fassung gelesen hat, oder wer eben wie Heidenreich einen entscheidenden Unterschied sieht zu früheren Begierden, denn die feuchte Träumerei der Altgewordenen "zielt immer auf Frischfleisch". Das klingt arg verbittert.
Ich möchte nur einen Vorwurf über-prüfen: "Lolita" gilt vor allem Menschen, die den Roman nicht kennen, als Paradebeispiel für die Verführung Minderjähriger. Der Autor Vladimir Nabokov (geb. 1899) war, als er ihn schrieb, in seinen frühen Fünfzigern, knapp zehn Jahre jünger als seine Anklägerin (geb. 1943) heute. Der Roman konnte nach Ablehnungen durch amerikanische Verlage erst 1955 in Frankreich erscheinen, wurde dort postwendend indiziert und für zwei weitere Jahre verboten. 1957 erschien er erstmals in deutscher Übersetzung.
Daß nun ausgerechnet eine erklärte Fortschrittmacherin wie Elke Heidenreich die Zensuren der prüden 50er Jahre bestätigt, hat mich ein wenig entsetzt, zumal sie selbst doch einst auf dem Gebiet der Komik, wenn auch der eher volkstümelnden, tätig war. Sollte sie denn einfach alles Witzige, Satirische, Ironische übersehen haben? Oder blendet sie es nur aus, um sich der denunziatorischen Mittel des McCarthyismus besser bedienen zu können, da ihr der Zweck so heilig scheint? "Wir regen uns auf über Kinderpornographie", be-hauptet sie mit Blick auf Márquez, "und preisen gleichzeitig diesen Roman…?" Das hält sie im Brustton der moralischen Überlegenheit für "eine höchst verlogene Angelegenheit".
Demnach wäre nun auch Nabokov, als Márquez' direkter Vorgänger, ein Kinderpornograph und "Lolita" ein höchst widerwärtiges Machowerk? Ich muß den Roman hier nicht preisen, ich frage mich nur, ob womöglich eine Verwechslung (Nadolny? Nabucco? Nasdrowje?) vorliegt - dergleichen ist Elke Heidenreich selbst bei Romanen ihres Lieblingsautors schon passiert. Zumindest verfällt sie wieder einmal in den alten Anfängerfehler, die Gedanken und Handlungsweisen einer Romanfigur mit den geheimen Begierden und Wunschvorstellungen ihres Erfinders zu verwechseln. Nach der Methode müßte man Shakespeare für einen Königsmörder, Schiller für einen Räuber, Goethe für einen Teufelsanbeter, Tolstoi für einen Kriegshetzer, Virginia Woolf für einen Transvestiten und Elke Heidenreich für eine Literaturkennerin halten.
Und das wollen wir doch alle nicht.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

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Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
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24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt