Inhalt der Printausgabe

Juni 2005


Humorkritik
(Seite 6 von 8)

Primus rocken die Komik
Geht es um Satire in der populären Musik, mußte ich lange Zeit meine Ratlosigkeit einräumen, zumal die Empfehlungen, die man mir ab und an zutrug, nur den Tatbestand der Parodie erfüllten, also, so gesehen, nur einen Teildistrikt der unendlichen Satireweiten abgrasten. Gibt es überhaupt satirische Musik? werde ich oft gefragt, und ich muß zugeben, daß ich darauf keine gescheite Antwort weiß.
Satirische Texte, ja, davon wimmelt es, und es will mir sogleich der famosböse Randy Newman einfallen oder die bereits von mir verhandelten Père Ubu und Frank Zappa. Von letzterem stammt der, was die Benotung anbelangt, immerhin mörtelfeste Satz: »Kein Akkord ist häßlich genug, all die Scheußlichkeiten zu kommentieren, die von der Regierung in unserem Namen verübt werden.« Am ehesten, so fand ich, würde man im amerikanischen Crossover der neunziger Jahre fündig, der attraktiven Mischung aller verfügbaren Stilrichtungen also, wie sie von Mr. Bungle, Primus und den Red Hot Chili Peppers praktiziert wurde. Besonders Mr. Bungle werden mir nach Abschluß meiner diesbezüglichen Forschungen noch einen profunden Aufsatz wert sein. Bei den Red Hot Chili Peppers dürfte sich das Movens meist auf jugendlichen Übermut reduzieren lassen, der ja naturgemäß nachläßt. Beim Trio Primus, deren Gitarrist, Larry LaLonde, vorgibt, sich von »Dreck und Felsen« zu nähren, bin ich mir noch nicht sicher. Unbestritten jedoch ihre Fähigkeit, Mißstände zu thematisieren und, wie ich mittlerweile weiß, auch angemessen abschreckend zu vertonen: ein unberechenbares Schaukeln von einem musikalischen Extrem zum anderen, ein atemberaubend wüstes und doch hochdiszipliniertes Beorgeln sämtlicher Genres, welches an den Grenzen rezeptorischer Belastbarkeit klarstellt, so könne satirische Musik beschaffen sein und auch funktionieren.
Weit davon entfernt, zu verbeamteten Berufsprovokateuren zu verkommen, lautet das Credo der Band nämlich: »Wir wären nicht Primus, wenn wir etwas täten, womit andere Leute rechneten.« Gute Beweise dafür liefert ihre Werkschau-DVD »Animals Should Not Try To Act Like People« (Universal). Im Clip »Too Many Puppies« wird nicht nur eine klare Haltung zum amerikanischen Militarismus vertreten, sondern eben auch meisterlich komischmusikalisch umgesetzt. In »Mr. Krinkle« fühlte ich mich so heimisch wie in Eugen Egners grauer Periode. Ferner empfehle ich den Clip »My Name Is Mud«, in dem Sänger Les Claypool einen zum Mörder gewordenen Wahnsinnigen spielt – ich sage Ihnen: Noch nie in meinem Leben habe ich einen Menschen derart spucken sehen. Hören und schauen Sie sich das am besten mal an, dann diskutieren und lachen wir weiter.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg