Inhalt der Printausgabe

Juni 2005


Humorkritik
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Urteilsschelte
Seit die Fotografie das gemalte oder gezeichnete Portrait abgelöst hat, muß für dessen Wirkung der Portraitierte mehr Verantwortung übernehmen als zuvor, da dem bildenden Künstler ein höherer Anteil zugerechnet werden konnte. Sich auf den abbildenden Fotografen herauszureden, wenn ein Konterfei Mißfallen oder Spott erregt, nutzt wenig.
Daß ein Autorenfoto Einfluß hat auf die Rezeption des Buchs, dessen Klappe oder Rückseite es ziert oder verunziert, kann ich nicht leugnen; und da die meisten Autoren sich der Bedeutung dieses ersten Eindrucks wohl bewußt sind, wählen sie ihr Vorstellungsfoto gewiß nicht ohne Bedacht. Solche Sorgfalt unterstelle ich jungen Talenten, die besonders kokett mit der Kamera flirten, ebenso wie älteren Semestern, die häufig auf angejahrte Aufnahmen zurückgreifen, um so in jugendlicherem Lichte zu erscheinen.
Mißfallen und Spott erregte in dieser Reihenfolge jüngst ein Autor namens Philipp Tingler, dessen frühere Werke ich hier bereits besprochen hatte und den nun ein Kollege in dieser Zeitschrift seiner »akkurat gegelten Formfrisur«, seines »blödsinnigen Halskettchens« und seiner »unsäglichen Schnauzenbehaarung« wegen jenen »Vollidioten« gleichsetzte, die allzubald »als Zuhälter oder Kfz-Mechaniker enden«.
Dieser Prophezeiung scheint das Titelbild des neuen Tingler-Buches »Juwelen des Schicksals« (Kein & Aber) durchaus rechtzugeben, zumal ein weiteres Portrait in der hinteren Klappe, das den Autor in der Pose eines hartgesottenen amerikanischen Profi-sportlers mit Zierpflaster auf der Wange, Football in Händen und Gewaltbereitschaft im Blick zeigt, den Vollidioten-Eindruck des Kollegen zweifellos verhärten würde.
Und trotzdem – wozu schriebe ich denn sonst dies Plädoyer? – wird sein Urteil der Sache nicht gerecht. Seine Begründung geht – ich sage das nur ungern – so weit vorbei an deren Kern, daß ich zur Schelte mich bemüßigt fühle. Gerade die schamlos ausgestellte Selbstgefälligkeit des Angeklagten nämlich hätte den Parodie-Verdacht zum Begreifen nahelegen müssen. Zumal Tinglers Texte dieselbe arrogante Attitüde so kultivieren, daß ein Gutteil ihrer komischen Wirkung darauf fußt, getreu dem Motto des anglophilen Autors: »You can behave like an asshole, and people find it amusing.«


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick