Inhalt der Printausgabe
Dezember 2005
Jerofejew vs. Erofeev Humorkritik-Spezial (Seite 2 von 3) |
Was aber, wenn nicht seine Komik, soll so groß sein an diesem Buch? Urban verspricht allen Bildungshubern eine schön anstrengende Textarbeit, denn »unkommentiert ist das Buch mit seinen unzähligen Anspielungen und Zitaten selbst russischen Lesern nur bruchstückhaft verständlich (...). Klar ist: Ohne vergleichende Lektüre der russischen und der deutschen Bibel und beider Bibelkonkordanzen ist die Übersetzung dieses Textes nachgerade unmöglich.« Doch nicht allein Mühe hat der wahre Erofeev-Adept aufzuwenden, er muß auch mit Ernst zu Werke gehen, um den süßen Lohn seines sauren Fleißes zu ernten: »Sieht man näher hin und nimmt den Text der ›tragischen Blätter‹ so ernst, wie er verstanden sein will«, dann erst, so Urban, erreicht man die Verständnistiefe eines echten Russen: »Es hat in Rußland an Lesern nicht gefehlt, die Erofeevs Text in seiner ganzen Tiefe, seinen philosophischen, religiösen und literarischen Dimensionen erkannten und die in seinem Autor den sensiblen, hochgebildeten und verletzlichen Denker sahen, der in seiner Wahrnehmung absurder Zustände und Zusammenhänge einer auf den Kopf gestellten, verkehrten Welt« und so fort, kurzum: Wieder einmal wird, wie bei Dostojewski, Kafka, Nabokov, Arno Schmidt längst der leidige Normalfall, Hochkomik auf Biegen und Brechen in Tiefgründelei umgedeutet und jede andere Lesart als oberflächlich verächtlich gemacht. Wer kommt als nächstes dran? Ich tippe auf die »Simpsons«. Die sind auch so intelligent und anspielungsreich, daß in absehbarer Zeit irgendein pneumatischer Schädel einem Urgesetz der Philologie gemäß schlußfolgern dürfte, sie könnten unmöglich komisch sein. |
Gute Übersetzung mit einer Zeichnung von Bernd Pfarr |
Leider ist mein Russisch seit je vollkommen aus der Übung, so daß ich zum Vergleich nicht das Original, sondern nur die Spitz-Übersetzung gegenlesen kann. Dort lautet der allererste Satz der Vorrede: »Die erste Ausgabe von ›Moskau – Petuschki‹ war schnell vergriffen, zumal nur ein Exemplar davon vorhanden war.« Bei Urban klingt er so: »Die Erstausgabe von ›Moskau – Petuki‹, da nur aus einem Exemplar bestehend, war schnell vergriffen.« Der Unterschied liegt in einem unscheinbaren, aber nicht unerheblichen Detail: Frau Spitz weiß, wo eine Pointe hingehört, nämlich ans Satzende. Vielleicht formuliert sie weniger originalgetreu, auf jeden Fall aber origineller als Urban. Meist findet sie die ausgefalleneren, lebendigeren Wendungen. Bei Jerofejew/Spitz ist Alexej Blindjajew, Mitglied der KPdSU seit 1936, ein »alter abgetakelter Wirsing« und General Franco ein »verknöcherter Knickstiefel«, bei Erofeev/Urban dieser ein »abgewrackter alter Kacker« und jener ein »alter Kacker«. Der zweijährige Sohn des Erzählers hüpft beim Tanzen der Ferkelchen-Farandella laut Jerofejew herum »wie ein Depp im Kleinformat«, Erofeev zufolge »wie ein Winzling von Ferkel«. Gegen Ende, als sich die Dinge zu verwirren beginnen, wird der Erzähler bei Jerofejew von einem Opa schön kryptisch mit »kleine Nachtschwärmerin« angesprochen, bei Erofeev vergleichsweise fade mit »liebe Pilgerin«. Manche Stellen hat Urban derart schlampig übersetzt, daß sie ohne Konsultierung der alten Übersetzung nur bruchstückhaft verständlich sind. Da wird der Erzähler Brigadeführer eines fünfköpfigen Arbeitstrupps, der seinen Tag hauptsächlich mit Saufen und dem Kartenspiel Sika zubringt; einmal im Monat schicken sie der Verwaltung eine Liste mit ihren Zielsetzungen im sozialistischen Wettbewerb. Erofeev: »Wir schreiben zum Beispiel: aus Anlaß der bevorstehenden Hundertjahrfeier werden wir es erreichen, daß jeder sechste ein Fernstudium an einer Hochschule abschließt… Aber was konnte von Betriebsunfall und Hochschule für eine Rede sein, wenn wir vor lauter Sika den hellen Tag nicht sehen und wir nur noch fünf Mann sind!« Hä? Was für ein Betriebsunfall? Urban hat einen ganzen Satz vergessen, den wir bei Spitz nachlesen können: »Aus Anlaß der bevorstehenden Hundertjahrfeier verpflichten wir uns, den Betriebsunfällen ein Ende zu machen.« |
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