Er nimmt jetzt das Flugzeug, wenn ihn die Partei nach Berlin ruft. Das ist aber auch der einzige Luxus, den sich Matthias Platzeck (51) leistet. »Ein Kompromiß«, erklärt Platzeck und lehnt sich zurück in den bequemen Business-Class-Sessel der VIP-Lounge auf dem Flugplatz Potsdam, »der Flug dauert dreimal so lang wie die Fahrt mit dem Auto, aber er sichert die Arbeitsplätze von zwei Piloten, drei Stewardessen, fünzehn Flugsicherern und zwölf Sicherheitsleuten – und zwar in Brandenburg.« Es hat nichts von einem Geständnis, wenn Platzeck von Kompromissen spricht. Seine Karriere ist auf Kompromisse gebaut und von Beginn an typisch DDR: erste Klasse, zweite Klasse, dritte Klasse, dritte Klasse, vierte Klasse, dritte Klasse, Oberschule, Abitur.
Während seines Studiums in den wilden Achtzigern wird Platzeck zum Pragmatiker. Ein Vollbart ist zu dieser Zeit unerläßliches Zeichen der Opposition gegen Elternautorität und Bartlosigkeit, doch sein Vater ist dagegen. »Also habe ich mir das hier wachsen lassen«, Platzeck streicht sich durch den Kompromiß an seinem Kinn, »naja, ich bin eher für lösungsorientierte Sacharbeit bekannt als für modische Finessen.« Auch seine Kleidungswahl deutet auf ein ausgleichendes Wesen hin: Zur steif-korrekten Anzughose trägt er ein legeres Jeanshemd und Turnschuhe, die grotesk bunte Krawatte hat er gelockert und in die Hosentasche gesteckt. Typisch Naturwissenschaftler eben.
»Biomechanische Kybernautik, das war damals der letzte Schrei«, erklärt Platzeck, als wir Richtung Hauptstadt abheben. »Wer hätte geahnt, daß es ein Irrweg sein könnte, Öltanker und Wale miteinander zu kreuzen! Die Viecher konnten zwar ungeheure Mengen Öl transportieren, aber Seekarten lesen? Vergessen Sie’s!« Dennoch schließt er sein Studium ab. Als ein Prototyp des Ölwals Backbord und Backstein verwechselt, auf der Elbe havariert und die Luft Magdeburgs auf Monate verpestet, erwacht Platzecks Interesse für den Umweltschutz. 1979 wird er Mitarbeiter am Institut für Lufthygiene in Karl-Marx-Stadt. »Zu tun war da natürlich nicht viel«, gibt Platzeck zu, »Luft hat man damals in Karl-Marx-Stadt nur ganz schwer bekommen, Hygiene war sowieso ein Fremdwort. Meistens haben wir Puhdys gehört: Puh, dis ist wieder ein Gestank da draußen…«
Sein Engagement für grüne Ideen wird immer stärker, 1988 gründet er mit Gleichgesinnten die Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung ARGUS. Ihr erstes Projekt, Partikelfilter für Tretroller zur Pflicht zu machen, scheitert in der Volkskammer. »Aber wir haben nicht aufgegeben«, Platzeck nimmt einen Schluck von seinem Kompromiß aus Kamillentee und Latte Macchiato, »auch nicht, als die Stasi ihre Unterlagen über unsere Bürgerinitiative schon im Januar 1989 vernichtet hat, als die Wende noch gar nicht abzusehen war. Angeblich weil sie im Archiv dringend Platz brauchten für den Frühjahrskatalog von Manufactum.«
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