Inhalt der Printausgabe

August 2005


POLITIK IM SOMMER
"Feiglinge, Idioten, Schwachmaten!"

Mit der SPD unterwegs im Wahlkampf
Von Mark-Stefan Tietze
Die irrste Partei der Welt hat ein Problem. Zwar ist sie die ungeliebte Regierungsverantwortung gerade mit Müh und Not losgeworden - doch jetzt muß sie auch noch in einen völlig aussichtslosen Wahlkampf ziehen!

Unglaublich, aber wahr: Der unscheinbare Mann mit dem falschen Bart, der gelockten Perücke und dem hochgeschlagenen Kragen, der sich im Eingang eines Schuhgeschäfts verbirgt und seine tropfenförmige Sonnenbrille zurechtrückt, weil er aus verständlichen Gründen nicht erkannt werden will, ist tatsächlich ein Geheimagent. Der Mann in haargenau derselben Verkleidung dagegen, der gleich nebenan mit hochrotem Kopf mitten in der Einkaufszone steht und hilflos die Hände ringt, weil er sich aus verständlichen Gründen nicht traut, jemanden anzusprechen, ist Ortsvereinsvorsitzender einer ehemals bedeutenden deutschen Partei. Seit zwei Stunden versucht Jupp Pumpel, ein hageres Männlein mit großporiger Nase, schwieligen Händen und breiigen Gesichtszügen, hier in der Fußgängerzone von Duisburg die Menschen für seine Partei, die Sozialdemokraten (SPD), zu gewinnen. Vergeblich.
So einen Wahlkampf hat der achtundsechzigjährige Frührentner, Genosse seit über sechs Jahrzehnten, aber auch noch nie geführt. Früher flogen ihm die Herzen der Frauen zu, wenn er seine "Willy wählen"-Buttons verteilte, die Kinder balgten sich um die "Modell Deutschland"-Aufkleber, und während der Kohl-Ära kam er regelmäßig mit mehr Rosen und Nelken vom Wahlkampfstand zurück, als er mitgebracht hatte. Heute dagegen treffen ihn Haß und Verachtung, manchmal sogar geballte Fäuste. Um diese mittägliche Uhrzeit treiben sich nämlich ausschließlich frustrierte Arbeitslose und alleinerziehende Mütter in der verödeten Duisburger Innenstadt herum. Beim Anblick des SPD-Logos sehen sie natürlich rot. "Immer kommse mich mit Hartz IV, und dat se wegen uns dat Arbeitslosengeld gesperrt gekricht ham", klagt Pumpel und tupft sich etwas Blut von der Oberlippe. "Und dat Beknackte is: Die ham ja auch noch irchendwie recht!"
Vor einer halben Stunde hatte Pumpel die Schnauze voll - von den dauernden Beschimpfungen, den Erniedrigungen und einer Gruppe angetrunkener Arbeitsloser: "Die ham mir voll auf die Ömme gekloppt und sind dann wechgerannt!" Danach postierte er sich erst einmal in sicherer Entfernung von seinem kleinen Wahlkampfstand mit dem bedruckten Sonnenschirm und den Infoblättern, Kugelschreibern, Schleckmuscheln und Luftballons. Jetzt, da die Blessuren in seinem Gesicht kaum noch schmerzen, faßt er sich ein Herz und geht erneut in die Offensive bzw. zögernd auf einen Passanten zu. Dessen gepflegtes Äußeres legt zumindest nahe, daß er nicht zu den Reform-Opfern gehört.
"Entschuldigense, interessierense sich womöchlich für historische Geschichte?" versucht sich Pumpel räuspernd an einer unverfänglichen Ansprache. "Wat haltense zum Bleistift von Karl Liebknecht? Oder von Willy Brandt?"
"Gute Jungs", sagt der vierschrötige Enddreißiger, der sich als Mitarbeiter eines Inkasso-Unternehmens vorstellt. "Aber leider in der falschen Partei."
"Jau, ne? Irgnswie schade", sagt Pumpel. Verlegen drückt er dem Mann sein letztes Bund Rosen in die Hand. Dann flitzt er wie der Blitz, um zu retten, was zu retten ist, und das ist weiß Gott nicht viel.
Sein Wahlkampfstand wird nämlich soeben von freundlichen Duisburger Bürgern abgebaut. Alleinerziehende Mütter schaufeln Luftballons und Schleckmuscheln in rostige Kinderwagen. Der Sonnenschirm wird von zwei Obdachlosen abtransportiert, die Kugelschreiber werden von arbeitslosen Jugendlichen erstaunt angestarrt und anschließend zertrampelt. "Dat waa auch keene gute Idee mit die Kulis", schüttelt Pumpel den versehrten Kopf. "Schreiben kann hier doch sowieso keiner."

Man sieht dem altgedienten Genossen an, daß es ihn gewaltig schmerzt. Nicht nur der Kopf, sondern auch die Demütigung, ausgerechnet in Duisburg ausgerechnet als Sozialdemokrat zu den Ausgestoßenen und Verfemten zu gehören. Denn Jupp Pumpel kennt noch ganz andere Zeiten. Das Ruhrgebiet galt schließlich früher als Herzkammer der Sozialdemokratie, und Leute wie Pumpel waren ihre roten Blutkörperchen. Hier in Duisburg bekamen die Menschen über Jahrzehnte hinweg ihr Parteibuch bei der Taufe. Einmal im Monat kam der Mann von der Partei vorbei, um die Mitgliedsbeiträge zu kassieren, und wer die Partei unbedingt verlassen wollte, konnte das gerne tun: mit den Füßen voraus und dann ab in den Emscherkanal.
In dieser Atmosphäre bedingungsloser Solidarität lernten sich seine Eltern kennen und lieben, genau wie später Pumpel und seine leider frühzeitig an Staublunge verschiedene Gattin Elsbeth - nämlich im SPD-Ortsverein. Es gab allerdings auch nichts anderes als den Ortsverein, wenn man als junger Mensch ein bißchen Spaß haben wollte, erinnert sich Pumpel schmunzelnd - abgesehen natürlich vom Arbeitergesangsverein, der Arbeiterwohlfahrt und der Arbeit unter Tage und im Stahlwerk selber. Hier in Duisburg waren ja sogar die Gehwegplatten aus sozialdemokratischem Urgestein, lacht er, hier holte die SPD bei Wahlen regelmäßig 102 Prozent der Stimmen, und da Sozialdemokraten bekanntlich nicht mit Zahlen umgehen können, fiel es jahrzehntelang niemandem auf.

Am Nachmittag ist Ortsvereinstreffen. Jupp Pumpel steht im Hinterzimmer der ehemaligen Stahlarbeiterkneipe "Udo's Zeche" und hält eine aufrüttelnde Rede, die vom einzigen Anwesenden, ihm selbst, mit langanhaltendem Applaus bedacht wird. Pumpel findet es gar nicht schlecht, daß sich nun zeigt, wer wirklich noch Sozialdemokrat ist: "Da kann sich auch keiner vor unangenehmer Arbeit drücken." Im vergangenen Landtagswahlkampf hatte Pumpel noch die Unterstützung eines lernschwachen jungen Mannes, der beim Plakatekleben immer ausbüxte. Dieser hat aber jetzt in einer anderen Partei der kleinen Leute eine neue politische Heimat gefunden: in der NPD. Von denen indes hält Pumpel nicht viel. "Gefährliche Blödköppe" und "Traumtänzer" nennt er sie, die den Leuten das Blaue von Himmel versprächen, aber nicht sagen könnten, wie man das letztendlich finanziert. Und auch "Schönwetter-Sozis" mißtraut er zutiefst: "Dat is wie beim Kicken: Du mußt zu deinen Jungs stehen, auch wenn die nur Scheiß zusammenfummeln." Dann fängt er wieder an zu schwärmen: von früher, vom Zusammenhalt unter den Genossen, vom allgegenwärtigen Gesetz des Schweigens und der Riester-Rente.
Das war die beste Zeit seines Lebens, sagt er ergriffen, damals, als der gelernte Facharbeiter noch Arbeit hatte, als die Subventionsflüsse im Hafen von Duisburg zusammenflossen und die Kohle auf riesigen Halden gelagert werden mußte, ehe sie in den Kaminen der mächtigen Gewerkschaftsbosse verbrannt wurde. Doch dann kam der Wandel: Irgendwann gab es genug Fächer, alle Facharbeiter wurden entlassen, und auch Jupp Pumpel wurde in den Vorruhestand geschickt. Fortan hatte er nichts mehr als die Partei.
Pumpel rettet sich aus seinen wehmütigen Erzählungen, indem er den Unterhaltungsteil des Parteitreffens einleitet: "Getz wird geschwoft!" Er verschwindet hinter dem batteriebetriebenen Radiorecorder. "1... 2... 3... 4... Wir spielen hier nicht mehr Dixieland-Jazz der Zwanziger, wir sind nicht mehr die alte Tante SPD!" sagt er stolz und legt eine Cassette mit aufpeitschendem Bigband-Jazz der Dreißiger und Vierziger ein. Nachdem er sich als Kavalier alter Schule selbst zu einem Tänzchen aufgefordert hat, schüttelt er zu den ekstatischen Rhythmen sein schütteres Haupthaar und beschließt die Versammlung ohne Gegenstimme.


Am späten Nachmittag steht Klinkenputzen auf der Agenda. Pumpel freut sich darauf, den Vorurteilen in der Bevölkerung und der Negativberichterstattung der Medien fundiertes Sachwissen entgegenzusetzen. Auf Sonnenbrille, Perücke und falschen Bart möchte er trotzdem nicht verzichten.
"Der Schröder hat gar nich so schlechte Arbeit geleistet", macht er sich selbst Mut, während er über Trümmer ins Treppenhaus der ersten düsteren Mietskaserne steigt. "Immerhin gibbet Deutschland überhaupt noch. Ich mein, guck dich doch ma die Globalisierung an!"
Er bahnt sich einen Weg durch den Hausflur, hinweg über die Kinder, die in zerfledderten Müllsäcken nach Essensresten suchen, mit denen sie spielen können, zu einer Wohnungstür, an der er klingelt. Es öffnet eine verhärmte Frau, die wie sechzig aussieht, wahrscheinlich aber erst sechzehn ist. Sie kreischt laut los, als sie das SPD-Emblem an Pumpels Blouson erblickt: "Wat? Von de Genossen? Ihr hapze ja nich alle! Raus!"
Pumpel legt sich mächtig ins Zeug, um der potentiellen Wählerin seine sozialdemokratischen Visionen schmackhaft zu machen, z.B. die von der schrittweise einzuführenden Gebührenfreiheit für Kindergärten. "Dat hätteter doch die ganzen Jahre tun können!" keift die Frau in dem fleckigen Kittel und versucht, die Tür vor Pumpels Nase zuzudrücken.
"Aba da wußten wir dat ebent noch nich! Also dat wir dat wollten! Also auch der Schröder!" ruft Pumpel mutlos und klemmt seinen Fuß in die Tür. "Und außerdem...", bricht es plötzlich aus ihm heraus, "...mit die Schwatten wird et doch noch viel schlimmer!" Er muß sich am Türrahmen festhalten, während sein Körper nicht nur von Weinkrämpfen, sondern auch von der Frau im Kittel geschüttelt wird. Dann, nach einem langen und unerfreulichen Gerangel, fällt die Tür ins Schloß.

"Ich war auch gegen die Hartz-Gesetze, wie so viele in der Partei", stöhnt Pumpel auf dem Rückweg, während er seine Finger notdürftig mit Pflastern verarztet. "Aber wat sollten wir denn tun? Wir sind doch feige Duckmäuskes, die immer alles mitmachen. Wir kenn dat doch nich anders!"
Zu Hause schließt sich Pumpel eine Weile in seinem Hobbykeller ein, um ein wenig nachzudenken und die Tauben zu füttern. Als er wieder hochgehumpelt kommt, geht es zum Abschluß eines langen Tages im Auftrag der Partei noch einmal ans Telefon. Das ist der neueste Clou der Wahlkampfleitung, erklärt Pumpel. "Kurz vor der Wahl rufen wir bei die Leute an und fragen: Wollnse wirklich eine schwatte Republik?"
Pumpel setzt sich an seinen Schreibtisch, öffnet das Telefonbuch sowie ein schönes Pilsken und ruft aufs Geratewohl bei einigen Nummern an: "Tach! Wollnse denn getz echt ne schwatte Republik?"
"Klar wie Klärchen!", "Jau!" und "Meinetswegen" lauten die Antworten, die Pumpel geistesgegenwärtig und ohne mit der Wimper zu zucken sofort heftig lobt: "Bestens! Dann wissense ja, watse zu wählen ham! Tschüssikowski!"
"Schon seit Urzeiten", erläutert er hinterher etwas gestelzt seine Strategie, "ham wir Sozis uns anzupassen gelernt. Der gemeine Genosse hat in dieser Hinsicht unter den Wirbelwesen nicht seinesgleichen!" Deshalb aber, findet Pumpel, taugen Sozialdemokraten eigentlich auch nicht zum Regieren: "Der Schröder hat doch total recht: Is doch besser, wenn gleich die Schwatten regieren. Wir können dat doch gaa nicht", grunzt Pumpel mißbilligend. "Ma unter uns gefachsimpelt: Wir sind doch alles totale Idioten. Feiglinge. Schwachmaten." Er genehmigt sich ein tiefes Schlücksken Dortmunder und, nachdem er schwer atmend mit einer neuen Flasche aus dem Keller zurückgekommen ist, gleich noch ein zweites. Einigermaßen entschlossen sagt er: "Aba nich datse mich mißverstehen: Dat Schlimmste sind die Heinis, die einfach alles hinwerfen, wennet brennt. So wie der Lafontaine und der Gysi."
Und Schröder?
"Ja, genau" sagt Pumpel, und ein Schatten gleitet über sein Gesicht. "Schröder, die olle Wurst."




Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Huch, Wolodymyr Selenskyj!

Laut Spiegel wollen Sie »überraschend nach Deutschland reisen«. Verständlich, Flugzeug oder Zug werden auf Dauer ja auch langweilig. Interessiert, ob Sie stattdessen einen Tunnel graben, mit einem Zeppelin fliegen oder doch per Faltkanu heranschippern, wünschen Ihnen in jedem Fall eine gute Reise

Ihre Travelguides von Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

 Philipp Bovermann (»SZ«)!

Früher hatten Sie Angst vor der Klimakatastrophe. Heute sind Sie Mitte dreißig und haben dazugelernt: »Ich kann heute nur noch darüber staunen, wie wenig tief mich die Tatsache bekümmert, dass der Planet überhitzt, dass Arten verschwinden, Ökosysteme kollabieren, Regenwälder brennen, Meeresböden sich in Wüsten verwandeln. Menschen werden sterben, Menschen sterben schon heute, das Leid der Tiere sprengt alle Vorstellungskraft – aber jetzt stehe ich auf meinem Balkon, habe mir ein Leben aufgebaut, mit einem tollen Job, einer tollen Frau, einer tollen Tochter, unten auf dem Teich schwimmt eine Entenfamilie vorbei, und geblieben ist nur die sanfte Sorge, dass ich mir zu wenig Sorgen mache. Ich grusele mich vor mir selbst. Aber nur ein winziges bisschen.« Denn »vielleicht ist es rational, wegen des Klimawandels ruhig zu bleiben und sich auf das Leid im Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Welt wird schon nicht gleich untergehen.«

Nein, Kollege Bovermann, wird sie nicht, jedenfalls Ihre nicht. An den Menschen in Südostasien oder Osteuropa, betroffen von einem exemplarischen Regen aus der neuen Klimagegenwart, schwimmen derweil keine Entenfamilien, sondern ihre toten Töchter vorbei, während Sie sich so arg auf das Leid im Hier und Jetzt konzentrieren, dass es alle Vorstellungskraft sprengt.

Vorm ewigen Jungspießer gruselt’s da ein bisschen: Titanic

 Sie wiederum, André Berghegger,

haben als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes nach dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke eine »Investitionsoffensive für die Infrastruktur« gefordert, da viele Brücken in Deutschland marode seien. Diese Sanierung könnten jedoch Städte und Gemeinden »aus eigener Kraft kaum tragen«, ergänzten Sie. Mit anderen Worten: Es braucht eine Art Brückenfinanzierung?

Fragt Ihre Expertin für mehr oder weniger tragende Pointen Titanic

 Wenn Sie, Micky Beisenherz,

als Autor des »Dschungelcamps« gedacht hatten, Sie könnten dessen Insass/innen mit einer Scherzfrage aus der Mottenkiste zu der Ihnen genehmen Antwort animieren, dann waren Sie aber so was von schief gewickelt; die RTL-»Legenden« wollten Ihnen nämlich partout nicht den Gefallen tun, auf die Frage, womit sich Ornitholog/innen beschäftigten, einfach und platterdings »mit Vögeln« zu antworten.

Stattdessen kamen: »Was ist das denn?« oder »What the fuck …?«. Dafür zu sorgen, dass so aus Ahnungslosigkeit ein Akt des Widerstands gegen Ihre idiotische Fangfrage wurde, das soll Ihnen, Beisenherz, erst mal jemand nachmachen.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Quo vadis, Fortschritt?

Unfassbar: Nach so vielen Jahren des Horrorfilms gruseln sich die Leute noch vor der Nosferatu-Spinne. Wann taucht in unseren Breiten endlich die Slasher- oder Zombie-Spinne auf?!

Mark-Stefan Tietze

 Kurzzeitgenossen

Bei der Meldung zu Anton Bruckners 200. Geburtsjubiläum (4. September) und dem tags darauf sich jährenden Geburtstag Heimito von Doderers (5. September) mit Interesse bemerkt, dass beide Herren im Jahr 1896 kurz gleichzeitig am Leben waren: nämlich fünf Wochen und einen Tag lang, von Klein-Heimitos Entbindung bis zu Bruckners Tod am 11. Oktober. Solche ganz knapp verpassten Möglichkeiten der Seelenwanderung faszinieren mich. Was wäre gewesen, hätte man Doderer etwas später zur Welt gebracht, wäre Bruckners Geist schon ein paar Wochen früher »frei« gewesen? Hätte Wien / Ansfelden ein reinkarniertes Doppeltalent Heimtoni von Brucknerer überhaupt ausgehalten, hätte die literarisch-musikalische Welt unter dem Eindruck der »Strudlhofsinfonie«, des »Rondo in c-Moll für Streichquartett und einen Merowinger« (Alternativtitel: »Die tonale Familie«) oder der kurzen vierstimmigen Motette »Die Peinigung der Orgelpfeifelchen« vor Entzücken und Überwältigung alle viere von sich gestreckt, aufgegeben und ihren Kulturbeutel auf immerdar zusammengepackt? – Dass das Spekulieren über solche vergeigten Leider-nicht-Seelenwanderungen nur sehr ausnahmsweise Sinn ergibt, dämmerte mir aber, als ich ad notam nahm, mit welchen Gruselgestalten und potentiellen Reinkarnationsgefäßen seinerseits Doderer seine allerletzten Tage im Herbst 1966 verbringen musste: Stefan Raab (*20.10.66), David Cameron (*9.10.66), Caroline Beil (*3.11.66) und sogar noch haarscharf David Safier (*13.12.66, »Miss Merkel – Mord am Friedhof«; »Der kleine Ritter Kackebart«). Dann schon lieber die Seele mit in die Hölle nehmen.

Michael Ziegelwagner

 Schrödingers Ruhebereich

Wenn es im Abteil so still ist, dass ein Fahrgast einschläft und dann übertrieben laut schnarcht.

Loreen Bauer

 Unangenehm

Auch im Darkroom gilt: Der Letzte macht das Licht aus.

Sebastian Maschuw

 Reality-TV

Bei der Fernsehserie »Die Nanny« gibt es diese eine Szene, in der die Mutter der Nanny, Sylvia Fine, in einem Pariser Restaurant mit dem Kellner kommunizieren will. Da sie kein Französisch spricht, nutzt sie zum Austausch ausschließlich den Text des französischen Kinderliedes »Frère Jacques«: Mit »Frère Jacques« ruft sie den Kellner, mit »Ding-ding-dong« fordert sie einen neuen Kaffee und so weiter. In der Serie klappte das sehr gut, und als Kind fand ich es auch ausgesprochen lustig, war mir allerdings sicher, dass das in der Realität nie funktionieren würde – bis es mir selbst gelang. Das kam so: Im Fitnessstudio wartete ein junger Mann am Tresen vergeblich auf einen Trainer. Vergeblich, weil er die im Tresen eingelassene Klingel nicht betätigt hatte. Nun hatte ich ihn während des Trainings Französisch sprechen hören, sprach allerdings selbst keines. Da ich aber der Einzige war, der sein vergebliches Warten bemerkte, ging ich schließlich hin, zeigte auf die Klingel und sagte »Sonnez les matines! Sonnez les matines!« Er verstand sofort und klingelte ausgiebig. Kurz darauf erschien der Trainer und ließ ihn hinaus. Da soll noch mal einer sagen, Fernsehen würde im Leben nicht helfen.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
14.10.2024 Augsburg, Parktheater im Kurhaus Göggingen Hauck & Bauer und Thomas Gsella
15.10.2024 Tuttlingen, Stadthalle Hauck & Bauer und Thomas Gsella
16.10.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit Max Kersting und Maria Muhar
16.10.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner