Inhalt der Printausgabe

April 2005


WAHLKAMPF AKTUELL
"EKLAT AUF DER PRAGER STRASSE"
(Seite 3 von 5)

11.18 Uhr
So richtig will der Funke noch nicht überspringen. Eine weißhaarige Rentnerin bleibt vorm Plakat stehen, liest und schüttelt dann angewidert den Kopf: "Traurig, traurig, traurig!" Eine Frau mit Kinderwagen stoppt, blickt kurz auf die Plakate, schiebt dann weiter und ruft aus sicherer Entfernung: "Mir verschlägt's die Sprache!"
GROSSER ANSTURM im Tal der Ahnungslosen

11.30 Uhr
Ein wenig zu einsam ist es am Stand, instinktsicher machen sämtliche Passanten einen großen Bogen um die Wahlkämpfer. Folglich ist es Zeit, die parteieigene Wunderwaffe einzusetzen: "Dürfen wir Sie auf einen Schnaps einladen?" schallt es einem rotnasigen Herrn entgegen, der aussieht, als könne er durchaus ein paar vertragen. "Nicht um diese Zeit!" winkt er überraschend ab. Zwei dank Westgeld gut gekleidete Mittvierzigerinnen spielen ebenfalls nicht mit: "Ja, wenn Sie etwas Alkoholfreies hätten!" Auch dem Abrißgedanken können Sie nicht viel abgewinnen: "Das geht nicht! Ich wohne da gegenüber, wenn Sie die abreißen, sieht das bei mir aus dem Fenster nicht mehr gut aus!" Recht hat sie. Andere potentielle Wähler verweigern Getränk und Gespräch, weil sie "noch Auto fahren" müssen, "gerade überhaupt keine Zeit" oder "leider gerade überhaupt keine Zeit" haben.

11.45 Uhr
Es wird immer kälter. Als ein weiterer Passant die Einladung zum Doppelkorn ausschlägt, genehmigen sich Hintner und Sonneborn selbst erst einmal eine gute Portion. Mit Erfolg: Sofort stürmt eine etwa 50jährige mit Pelz, Mütze und Ehemann im Schlepptau auf die PARTEI zu. "Dürfen wir Ihnen auch einen kleinen Schnaps anbieten?" - "Um Gottes willen", lacht die Dame, "da müßten Sie mich hinterher nach Hause bringen! Aber: Was gibt's denn bei Ihnen?" Bei Generalsekretär Hintner wirkt der Schnaps am schnellsten, locker überspringt er die üblichen einleitenden Floskeln: "Es geht um die Zertrümmerung der Frauenkirche. Wir suchen Menschen, die genug Kraft haben für ungewöhnliche Lösungen. Wir möchten die Frauenkirche wieder abreißen und die Steine als Mauer zwischen Ost und West wieder errichten." Verstört starrt die Dame aus ihrem Pelz. "Das ist quasi ein Symbol, daß Dresdner Steine dann in den Westen getragen werden und die neue Mauer bilden", setzt der Franke nach und ergänzt völlig sinnfrei, aber im Brustton politischer Überzeugung: "Jung und alt!"
Aufgekratzt schüttelt die Frau den Kopf: "Sagen Sie mal, kommen Sie von einem anderen Stern?" - "Äh, nein, aus Frankfurt", entgegnet Hintner, und Sonneborn präzisiert: "Aus dem richtigen Frankfurt, vom Main, nicht aus dem Zonen-Frankfurt an der Polengrenze." - "Das kann ich mir denken", zischt es jetzt verbiestert zurück, "aber ihr seid auch nichts Besseres wie wir! Und wir haben gekämpft für unsere Frauenkirche, und keiner aus dem Westen darf…" Auch bei Sonneborn ist der Schnaps jetzt angekommen, spielerisch greift er zum Hammer und visiert ein Gipsmodell der Frauenkirche an: "Wollen wir mal? Nur spaßeshalber, nur daß man mal sieht, wie gut die wieder aussehen könnte…" - "Näää, nisch!" kreischt es urplötzlich in reinstem Sächsisch, "nisch uff die Girsche! Um Goddes will'n!" Während die Dresdnerin hysterisch mit den Armen fuchtelt und mit überschnappender Stimme mehrfach insistiert: "Nisch uff die Girsche!", schlägt Sonneborn dem Voodoo-Kirchlein genüßlich einen Turm nach dem anderen ab.
Zum Glück erwacht ihr Mann aus seiner Starre und zieht die Widerstrebende weg, bevor es zu einer finalen Herzattacke kommen kann.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt