Inhalt der Printausgabe

Juni 2004


Der Lentz ist da
(Seite 3 von 4)

5.
Aus dem Inhaltsverzeichnis des Prosabandes "Muttersterben" von M. Lentz: Garten / Mach 3 /Weltgeschichte / Allora! / Vielmehr ist es so / Die zigarette / Ein fleck / Nein / Das ist ja nicht weniger geworden / Platte machen / Einige anmerkungen zum fliegen im flugzeug nach Rom nebst anmerkungen /Abseits / Il était une fois… / Prosit Bärlin! / Also doch / Einige biologische tatsachen und andere erfindungen / Spätaussiedler zerstückelt schwester / Ficken lag in der familie / Herr B. isst gerne eine schnitte brot. "Stimmt es nicht, daß er verrückt ist, völlig verrückt?" (Italo Svevo, "Zenos Gewissen", Übers. Barbara Kleiner, Frankfurt/Main 2000ff.)


6.
Michael Lentz (ehem. Düren, jetzt Berlin, Bachmannpreisträger 2001 usw.) ist nämlich und natürlich auch als souveräner Prosaautor unterwegs ("Liebeserklärung", Roman, Fischer 2003): Zwei Jahre unterbreiten wir eine Körperauslöschung. Eine Existenzwiderlegung. Völlige Kontrolle der Geschlechtsteile. Das Regungslose trainiert. Einen jahrelangen Ehezustand der absoluten Ficklosigkeit haben wir aufkommen lassen. Das hätte dem Mann (40) ja mal jemand sagen können, daß Wendungen wie Ehezustand der absoluten Ficklosigkeit schon bei einem 19jährigen albern wirken und daß Explizität bei der Sexualbeschreibung heutzutage nach allem riecht, nur nicht nach Authentizität, geilem Realismus oder gar Literatur. Du vibrierst, verlangst mich, dein nasser Mund, deine Mauern einreißende Geilheit. Die so frisch ist und ungestillt, du reckst mir deinen schönen, nassen Schoß entgegen, nimmst meinen pochenden Schwanz, ich rase dir zu, gleite mit den Fingern in deine Möse, lass dich zappeln, während du mich sofort zum Abspritzen bringen willst, Frauen!
Deine bewundernswerte Dildotechnik. Wie du den Kunstschwanz ins Loch jagst will man doch als halbwegs seriöser Leser schon auf Seite 11 nicht mehr wissen, zumal da der Satz natürlich noch weitergeht inkl. Hui-Wörtern wie Schamlippen, Harnröhre usw., aber das lasse ich jetzt mal weg, wir sind hier ja nicht beim Gynäkologen.
Schon eher auf der Wortbaustelle: Berlinaufenthalt als Zurruhekommenanstrengung. Kein Wunder, daß der Kanzler neuerdings so erschöpft aus der Unterwäsche schaut. Schließlich: Deutschland ist zu spät. Ein sich selbst überlebt habender Kasten. Tarifrunde. Helfershelfer. Reformmotor abgewürgt. Die deutsche Literatur des frühen dritten Jahrtausends: eine Mischung aus Sabine Christiansen, Jungmännerglosse im Stadtmagazin und innerem Bewußtlosstrom: ...und alle haben dieses Deutschebahngesicht, machen diesen genötigten, völlig sinnlosen Deutschebahnschlaf, der zu nichts führt, der nur noch kaputter macht, dieses im Gußsessel Sitzen, den Kopf in eine Traumnische des deutschen Hirnpolsters geklemmt, der deutsche Bahnschlaf, der einen noch sinnloseren Schlaf mit sich bringt, nach sich zieht, zur Folge hat, hinter sich herzieht, ich bin jetzt eine Woche jeden Tag stundenlang Deutsche Bahn gefahren, ich muß jetzt eine Schlaftherapie machen, der Leser jetzt natürlich nicht mehr.
Und das Feuilleton? Hat zum Glück aufgepaßt: "Große Literatur", erkennt Beatrix Langner in der Neuen Zürcher Zeitung, "in seinen elegischsten Passagen meint man den leibhaftigen Thomas Bernhard zu hören", da muß der Tinnitus aber schon besonders laut sein, und daß es Bernhard-Kopien längst im Dutzend billiger (und besser) gibt, hat sich bis Zürich scheint's auch noch nicht herumgesprochen. "Die Schwierigkeit, dem Thema Liebe noch etwas Neues abzuringen - das ist der Motor, der diesen furiosen Text so beweglich macht", betätigt sich Susanne Messmer in der taz als Literaturmechanikerin im ersten Lehrjahr, denn die Schwierigkeit des Motors der Liebe ist doch bloß, eine gute Dildotechnik zu haben und M. Lentz gleich zum Abspritzen zu bringen, ich möchte mich zurückerobern, in dir, ich möchte wieder wachsen, in dir, damit du wieder naß wirst, auch ganz für dich allein - wer dem Thema Liebe ähnlich Neues abgewinnt und an Susanne Messmer schickt, der darf sie dann wohl heiraten; wenn er will. Allein und ausgerechnet die Zeit und ihr Friedhelm Rathjen haben die Augen offen und können ein "großes Gähnen" nicht unterdrücken, während Julia Encke in der Süddeutschen lediglich eine "gewisse Leichtigkeit fehlt" -


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt