Inhalt der Printausgabe
Januar 2004
Olaf Scholz Ein Mann wie seine Partei (Seite 2 von 3) |
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An seinen neuen Job in der Parteizentrale hatte Scholz trotzdem große Erwartungen geknüpft: sich einigeln, Dienst nach Vorschrift machen, unauffällig die Stunden abreißen und ja keine Widerworte geben. Wem denn auch - er war ja praktisch der Chef! Doch dann begann die Zeit der Turbulenzen: Wirtschaft kaputt, SPD auf Talfahrt, Agenda 2010, SPD am Abgrund. Mit einiger Verspätung kam die Krise schließlich auch im Willy-Brandt-Haus an: "Plötzlich sollte alles anders sein: Modern sollten wir werden, mit bunten Slogans und Grafiken um Zustimmung zum Sozialabbau werben." Scholz lacht verbittert: "Sehe ich aus wie ein Werber? Wie so ein gutverdienender Werbefuzzi, der unheimlich bei den Frauen ankommt und noch alle Haare auf dem Kopf hat? Höchstens mit Tüte über dem Kopf - gucken Sie!" Blitzschnell setzt sich Scholz eine weitere Tüte auf, versehentlich eine aus Plastik, die er schon nach kurzer Zeit hustend wieder abnimmt. "Aber unsere Gesellschaft wandelt sich eben schneller, als wir das für möglich gehalten hätten", keucht der mopsige 45jährige mit Tränen in den Augen. "Manchen ist das Tempo zu hoch, mir zum Beispiel. Gestern Parteitag, heute Pressekonferenz, morgen schon wieder irgendwas anderes, z.B. Unterschriften unter irgendwelche Zettel oder Mittagspause in der Kantine. Wir sind doch nur eine einfache Splitterpartei ohne größere Ambitionen. Ganz kleine Lichter, verglichen mit diesen gutaussehenden Wirtschaftsexperten und redegewandten Medienberatern! Von der CDU mal ganz zu schweigen. Oder der CSU, diesen Sozialfaschisten! | ||
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Nehmen Sie zum Beispiel mich! Ich -komme aus einfachsten Verhältnissen", erinnert sich der stocksteife Hanseat mit schiefem Lächeln an seine lieblose Kindheit, die öde Jugend, und wie es dann bergab ging. "Chancengleichheit hin oder her - sowas läßt einen nicht mehr los." Als unbegabtes Kind Osna-brücker Textilkaufleute, die aus Scham bald ins größere Hamburg zogen, entwickelte der kleine Scholz -beispielsweise eine große Leidenschaft für Textilien. Noch heute verläßt er das Haus nur ungern ohne, höchstens aus Vergeßlichkeit oder wenn Ehefrau Britta mit dem Nudelholz winkt. Doch schon in der Schule übernimmt der sensible Junge, den zu Hause im Garten Frösche, Insekten und kleine wuschelige Pelztiere quälen, gerne Verantwortung für die Gemeinschaft; wegen seiner Zungenfertigkeit z.B. die tägliche Tafelreinigung. Nach dem Abitur zieht Scholz nach Altona und stürzt sich ins wilde Studentenleben. Diese Zeit bezeichnet das stiernackige Ochsengesicht als die schönste seines Lebens, schwärmt von tollen Seminaren, hochinteressanten Vorlesungen und durchgemachten Nächten an seinem Schreibtisch. Im Jurastudium lernt Scholz auch die faszinierende Idee der Gerechtigkeit kennen, die ihm sofort zusagt. Er tritt in die SPD ein und macht sich dort bald einen Namen als grauer, unauffälliger Duckmäuser, dem oben ganz schön die Wolle ausgeht. | ||
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