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Januar 2004
Olaf Scholz Ein Mann wie seine Partei (Seite 1 von 3) |
70 Prozent der Bundesbürger kennen mittlerweile seinen Namen, 75 Prozent sein Gesicht, und 80 Prozent gäben viel darum, es wenigstens nachts einmal vergessen zu können. In der deutschen Presse gilt der eigenartig behaarte Mann aus Hamburg-Altona als eigenartig behaarter Mann aus Hamburg-Altona. Der Kanzler hält ihn für einen potentiellen Nachfolger bzw. eine bequeme Sitzgelegenheit. Doch wie ist Olaf Scholz, seit über einem Jahr neuer Generalsekretär der SPD, wirklich?
Es ist ein charmanter, blendend aussehender und witziger Mann, der uns im festlich erleuchteten Foyer der SPD-Parteizentrale in Berlin empfängt; natürlich nicht Scholz selber, sondern ein persönlicher Referent, der seinen Namen aus Karrieregründen lieber für sich behalten möchte. "Leider wissen wir nicht, wo Herr Scholz heute steckt", bedauert er, während wir gemeinsam durch die langen Flure des Willy-Brandt-Hauses streifen. "Gestern ist er in der Spülküche gesichtet worden, heute tippe ich mal auf den Keller." Und tatsächlich: Schon nach einer halben Stunde Suche im unwegsamen Heizungskeller der Parteizentrale sehen wir einen dunklen Schatten durch das staubige Halbdunkel poltern. "Herr Scholz!" ruft der Referent. Der dickliche Mann, der sich gerade durch den Notausgang verdrücken will und seinen Kopf schamhaft unter einer Papiertüte verborgen hält, zuckt zusammen. "Herr Scholz, hier sind Herren von der Presse für Sie!" "Typisch!" brummt es mißmutig unter der Tüte. "Ich weiß mal wieder von nichts." "Natürlich nicht", beschwichtigt der Referent. "Der Temin wurde vom Büro Müntefering gemacht." Der Generalsekretär der SPD kratzt sich an der Tüte und seufzt resigniert. Dann macht er sich mit uns auf den kurzen Weg in sein dunkles, aber recht ungemütliches Büro, das mit Besen, Wischmops und vieler-lei Reinigungsmitteln dekoriert ist. Erst als wir dort zu sitzen kommen, auf umgedrehten Putzeimern, entspannt sich Scholz sichtlich, entzündet eine Zigarette und nimmt ganz schnell und unter kleinen Schmerzensschreien die brennende Papiertüte ab. "Es ist eine ungeheure Verantwortung, für alles seinen Kopf hinhalten zu müssen, was in dieser Partei schiefläuft", sagt der verkniffene Mann mit den medikamentös verschleier-ten Augen. Er blickt nachdenklich auf die Brandblasen an seinen Fingern und in die qualmenden Reste der Papiertüte: "Hätte ich nicht den enormen Rückhalt meiner Parteifreunde, würde ich mir manchmal am liebsten eine Kugel durch die Birne jagen." Mit sanftem Griff entwindet der Referent dem Generalsekretär den geladenen Revolver und versteckt ihn vorsichtshalber oben auf einem Stoß feuchter Putzlumpen, bevor er sich verabschiedet und uns mit Scholz alleinläßt. "Wir hatten diese Wahl gewonnen. Und schwupps - plötzlich wurde ich zum Generalsekretär berufen..." sinniert der unrasiert wirkende Trauerkloß mit den oben ausgehenden und trotzdem irgendwie wolligen Haaren. "Wir haben ja nicht so viele gute Leute. Die sind alle in den anderen -Parteien, in der Wirtschaft, an den Unis, in Kneipen oder in der Gebäudereinigung." |
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