Inhalt der Printausgabe

Februar 2004


Humorkritik
(Seite 2 von 8)

Harald Schmidt...

Die letzte Originalsendung der "Harald Schmidt Show" ist, zumindest auf Sat.1, verstrahlt, ein letztes Mal wurde das große Familienfernsehen mit Manuel, Helmut, Suzana und Sven zelebriert, und hinterher wirkten alle irgendwie erleichtert. Am meisten Schmidt selbst.
Knapp fünfzig Jahre nachdem ein Musikkomödiant namens Steve Allen im amerikanischen Fernsehsender NBC zum ersten Mal den späten Mix aus tagesaktueller Stand-up Comedy und Plauderei installierte, geht die erste gelungene Kopie dieses Formats aus deutschen Landen nach acht Jahren vom Sender. Sein zuvor gestecktes Ziel, er wolle seine Spätnachtshow "ewig" weiterführen, mindestens aber "gute fünfzehn Jahre", hat Schmidt somit nicht erreicht - der Titel des "Late Night Kings" (Bunte) wurde ihm nichtsdestotrotz bereits mehrfach verliehen. Sein historisches Vorbild Johnny Carson, der in Amerika schon vor Jahrzehnten zum "Late Night King" erkoren wurde, hatte wie Schmidt als Moderator alberner Spielshows begonnen; seine Spätnachtsendung verweste er indes volle dreißig Jahre.
Ungeachtet seiner gewaltigen Verdienste um den guten, schnellen und hellen Witz, darüber hinaus seiner freundlichen Bereitschaft, sogar einen TITANIC-TV-Piloten zu produzieren u.v.a.m. - ein Großteil der Errungenschaften, die man Harald Schmidt unterjubelte: freilich waren auch sie, wie Format, Optik und Attitüde seiner Sendung, hochgradig geklaut, nämlich von Johnny Carson und seinen Sukzessoren David Letterman und Jay Leno (TITANIC 10 u. 11/1996). Längst bevor Schmidt auf Sendung ging, saß Mr. Letterman in einem Studio mit rotem Fußboden und holzgerasterter City-Rückwand, strahlte Sendungen in Dunkelheit, in fremder Zunge und auf den Kopf gestellt aus, kommentierte Fahrstuhlrennen im Bürogebäude oder schmiß Melonen vom Studiodach. Einen rechtslastigen Showmasterkollegen fragte er vor laufenden Kameras sehr freundlich: "Passiert es Ihnen manchmal, daß Sie nachts aufwachen und denken: ›Ich bin eigentlich nichts als ein dampfendes Stück Scheiße?‹" Dergleichen hörte man Schmidt freilich nie fragen.
Daß das hauptsächlich vom Bildungsbürgerfeuilleton als nationale Katastrophe heraufbeschworene Ende der "Harald Schmidt Show" schnell und schmerzlos kam, auch dafür muß man Schmidt dankbar sein; er hatte mindestens das letzte Jahr weit über seine Verhältnisse gelebt. Die gar nicht mehr so häufigen komischen Glanzleistungen, die die Feuilletonerie in schöner Regelmäßigkeit zitierend und jubelnd voneinander abschrieb (Sendung auf französisch, als Augsburger Puppenkiste, Theaterstücke mit Playmobil blabla etc.) - sie konnten nicht über die Fadheit endloser Spielszenen in Betten, im Sanitärsurrounding, in der Auslegeware hinwegtäuschen.
Blödsinn allerdings, Schmidt ernsthaft an seinen Quoten zu messen, wie dies geistlos hämisch von Spiegel über Süddeutsche bis FAZ naturgemäß wieder alle taten: Er habe in letzter Zeit nicht "den Erwartungen" entsprochen usw. usf. - sich aber nach notorisch unseriös ermittelten Zuschauerquoten zu richten, hieße, sich dem Diktat der universalen Dummheit zu unterwerfen, und wenn man auch Schmidt einiges an Zynismus und Kaltblütigkeit unterstellen mag, so weit reicht, halten zu Gnaden, seine Perfidie dann doch nicht.
Egal, die Kultur-, die sich hier bedingungslos zur Fernsehberichterstattung machte, vergoß seitenweise sinnlose Tränen, allen voran die haltlos peinlich agierende FAZ. Beheult wurde nicht nur Schmidts vermeintlicher, sondern vor allem auch Manuel Andracks wahrscheinlich tatsächlicher Wegfall. Denn Schmidts redaktioneller Sidekick war, noch vor seinem Chef, der Liebling restlos aller Medienjournalisten. In ihm, dem adipösen Brillenträger vorm Flachbildschirm, erkannten und erträumten sie sich selbst. Endlich einer von uns! Ein Redaktöööör! Und dann auch noch im Fernsehen! Dem Schmerz über die abgesetzte Sendung wohnt die Angst vor der womöglich eigenen bevorstehenden Entlassung inne.
Im Rahmen der Abgangsfeierlichkeiten stellte uns Schmidt noch einmal sein vielköpfiges technisches und redaktionelles Personal vor, und man konnte staunend mitzählen, welch betrieblicher Wasserkopf sich da angesammelt hatte: Außenbeleuchter, die längst keiner mehr brauchte, Einspieler-Autoren, die vom Glanz vergangener Tage zehrten, Gagschreiber, die sich ihre Themen über Jahre hinweg ausschließlich vom Boulevard vorgeben ließen. Als wenn das eh schon hochfrisierte Geschrei der Bild-Zeitung noch eines satirischen Finishs bedurft hätte.
In allem Ende haust Neubeginn, und mehr Anfang war nie. Lächerlich zu glauben, daß ein so sehr auf Außenwirkung wie auf Höchstgagen fixierter Entertainer wie Schmidt "die Brocken" (FAZ) hinwürfe. Nun jedoch darf man sich erst mal unbotmäßig freuen: auf Ank. Engelke, die uns Sat.1 als Schmidt-Nachfolgerin andienen wird, auf die Gerüchte, die die Medienjournaille bis zum fröhlichen Erbrechen aufkochen wird, und freilich auf Schmidts nächste Sendungsserie, auf die wir bestimmt nicht länger als bis September werden warten müssen - wetten?


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt