Inhalt der Printausgabe

Dezember 2004


Humorkritik
(Seite 5 von 7)

Hemdsärmel-Who's Who
Im Vorwort zu seiner "Feldtheorie der Komik" thematisiert mein Kollege Gernhardt einen allgemein verbreiteten Argwohn gegen Komiktheorie und beobachtet, daß im Gegenzug "jene Gemeinplätze über das Komische, die sich den Anschein hemdsärmeliger Unangepaßtheit geben", um so beliebter seien. Anscheinend befürchten Humortheoretiker, mit nüchterner Vorgehensweise würden sie ihren heiteren Gegenständen nicht gerecht: Bis heute werden Abhandlungen über Komisches regelmäßig in mehr oder weniger penetrantem Jovialton vorgetragen, der scheint's beweisen soll, der gar nicht trockene Verfasser sei mit allen Witzwassern gewaschen.
Ein anschaulich-unansehnliches Beispiel jüngeren Datums liefert Jürgen Kagelmanns Taschenlexikon "Who's Who im Comic". Der Band ist Mitglied einer aktuellen dtv-Reihe, deren denglische Titel ("Who's Who im Märchen", "Who's Who in der Bibel") bereits erahnen lassen, daß die lexikalische Sprödigkeit des Original-"Who is who" hier keineswegs erwünscht war. Das "Who's Who in der antiken Mythologie" (Autor: Gerhard Fink) ziehe ich öfter und gern zu Rate, für den Kagelmannschen Band trifft das nicht zu.
Allzu beiläufig und spärlich werden hier Fakten und Jahreszahlen erwähnt, allzu vordergründig bläht sich der Lexikograph als Ironiker auf, etwa wenn er die wundersame Haltbarkeit von Lurchis Salamander-Schuhwerk bespöttelt; und erst recht, wenn er Schröder, den klavierspielenden Freund Charlie Browns, vorstellt: "Wiewohl schätzungsweise erst elf Jahre alt, ist dieses Kind bereits ein allererster Kenner klassischer Musik und besonders von Leben und Werk Ludwig van Beethovens geworden. Seine Umwelt versetzt Schröder immer wieder dadurch in Erstaunen, daß er sämtliche Sinfonien auswendig und überdies auf einem Spielzeugpiano mit aufgemalten Tasten zu spielen weiß." - Moment mal! Selbst mir, der ich wahrlich kein Peanuts-Experte bin, ist bekannt, daß zwar die schwarzen Tasten von Schröders Kinderklavier tatsächlich nur aufgemalt sind, die weißen jedoch sehr wohl funktionieren; eine Anordnung, wie sie bei vor-elektronischen Kinderklavieren oft zu finden ist. Kurz, Schröders Instrument repräsentiert einen Detailrealismus, der durchaus zu den Peanuts-Stilmerkmalen zählt - der launige Kagelmann hält ihn nicht für erwähnenswert, ja vermutlich hat er ihn überhaupt nicht registriert.
Um sich desto ausführlicher über jenen Nichtrealismus zu mokieren, der nun geradewegs den entscheidenden Peanuts-Kunstgriff darstellt: daß Charlies Clique, Snoopy inbegriffen, moderne Erwachsenenprobleme mit Erwachsenenintellekt diskutiert, just daraus bezieht dieser Comic ja seine Wirkung. Letztlich handelt es sich um eine Montagetechnik, die im komischen Genre zu den bewährtesten Mitteln zählt: Asterix- oder Hägar-Strips etwa funktionieren als Montage moderner Rollenspiele und -jargons in der jeweiligen historischen Kulisse.
Wer hier Realismus fordert, beweist einen eklatanten Mangel an Sachverstand. Gerade das komische Genre verlangt vom Theoretiker logische Disziplin, die indessen nicht oft zu finden ist. Vielleicht bleibt sie überhaupt jenen vorbehalten, die sich, wie etwa Tucholsky, anderweitig als genuine Witzautoren austoben konnten. Kagelmann kann weder toben noch theoretisieren; falls die dtv-Reihe je um ein "Who's Who in der Humorkritik" ergänzt werden sollte, darf es auf seinen Namen getrost verzichten.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt