Inhalt der Printausgabe

Dezember 2004


Humorkritik
(Seite 4 von 7)

Komiker Gaddafi
Unter all den ernsten Schauspielern auf der politischen Weltbühne ist der libysche Oberst Muammar al-Gaddafi die eindeutig komische Person. Er tritt öffentlich in bunten Beduinengewändern auf, kampiert bei internationalen Kongressen in einem Beduinenzelt und bringt obendrein sein persönliches Kamel mit, um jeden Morgen frische Stutenmilch trinken zu können. Überhaupt wohnt er statt in den Mauern der Hauptstadt Tripolis, dem Berlin Libyens, lieber im Zeltlager in der Wüste; sein sandiges Berchtesgaden ist die brettflache Einöde bei Sirt, in dessen Nähe er 1942 geboren wurde. Als Fürsprecher der Palästinenser regte er an, die Juden ins Elsaß auszusiedeln, und als Freund der Frauenemanzipation stellte er sich demonstrativ eine scharfe weibliche Schutzstaffel zusammen. Als Führer Libyens machte er sein arabisches Volk durch Vertreibung der Italiener und Juden sowie durch Ignorierung der Berber reinrassig und baute den Staat zu einer "Dschamahirija" um, was man wahlweise als Volksrepublik oder Volksgemeinschaft übersetzen kann, und dabei fand der nationalsoziale Revolutionär endlich jenseits von links und rechts die richtige Farbe für seinen Kampf: Er schrieb das "Grüne Buch", in dessen drei Teilen er von 1976 bis 1979 eine "Dritte Universaltheorie" entwarf und das schon 1977, also vor Vollendung, Verfassungsrang erhielt.
Seit 1990 liegt dieses Werk auf deutsch vor, in welchem der Beduinensohn der staunenden Welt mithilfe des Abzählens von Äpfeln ein neues gerechtes Wirtschaftssystem erklärt. Aber nicht nur über die Ökonomie der kommenden Weltgesellschaft, auch über ihre "soziale Basis" gibt Gaddafi Auskunft: "Der Stamm ist ein natürlicher, sozialer Schirm, der Schutz gewährt", schreibt der Angehörige des Stammes der Qadhifa (daher sein natürlicher Nachname) und führt aus: "Kraft sozialer Stammestraditionen sorgt der Stamm für seine Mitglieder durch die kollektive Zahlung von Lösegeld, gibt Revanche und sorgt für die Verteidigung."
Mag mancher hier die westliche Stirn runzeln, im Hinblick auf Mann und Frau stößt Gaddafi zu universell gültigen Erkenntnissen vor: "Es ist heute wohl unbestritten, daß Mann und Frau menschliche Wesen sind", schreibt er und präzisiert: "Die Frau ist weiblichen Geschlechts, der Mann männlichen." Damit steht eine weitere Beobachtung Gaddafis in Zusammenhang: "Von der gynäkologischen Betrachtungsweise aus menstruiert die Frau in jedem Monat, während der Mann nicht durch die monatliche Regelblutung gekennzeichnet ist."
Wahrlich weit gespannt ist der Wirkungskreis des Politikers und Universaltheoretikers Gaddafi auch jenseits der gynäkologischen Betrachtungsweisen. Wie weit, läßt sich jetzt ermessen, da unter dem Titel "Das Dorf, das Dorf, die Erde, die Erde und der Selbstmord des Astronauten" seine bereits 1993 in Libyen erschienene Sammlung von Essays, Erzählungen und Satiren sowie Originalillustrationen (die wahrscheinlich ebenfalls seiner Schöpferhand entstammen) auf gut deutsch erschienen ist. Hier zeigt sich Gaddafi als talentierter Polemiker und Parodist, der sich beispielsweise über die rückwärtsgewandten islamischen Fundis lustig macht und ihnen Bücher andichtet wie: "Der Grundsatz des Glaubens hinsichtlich Bart und Rauchen", "Das religiöse Recht der Sunniten hinsichtlich der Verwendung von Shampoo und Henna" und "Das Heft über den kostenlosen Eintritt ins Paradies".
Aber zugleich und womöglich paradoxerweise tritt der Wüstensohn Gaddafi auf, als sei er der wiedergeborene Südseehäuptling Tuiavii aus Tiavea, und predigt den zivilisationsmüden Papalagis das einfache Leben: "Die Stadt ist Entwurzelung, ein Schrei, Blendung, abscheulicher Konsum, nutzlose Suche und sinnlose Existenz", teufelt er gleich auf den ersten Seiten auf die Moderne ein, auf dem Land dagegen "herrschen Ermutigung und Lob für den Freiheitsdrang und das Streben zum Licht", und "alle lieben sich gegenseitig".
Liebe, Lob und Ermutigung werden aber nicht jedermann zuteil, schon gar nicht dem im Buchtitel angekündigten Astronauten, der sich mit einem schlichten Bauern nicht mehr über das Wort "Erde" zu verständigen vermag und, weil dem Leben entfremdet, zügig zu sterben hat. Den Komiker Gaddafi dagegen muß man gegenseitig lieben - im Unterschied zum seriösen Staatsmann Gaddafi von heute, der vor dem Westen im Sand kriecht und sich ganz im Ernst mit Auffanglagern für Asylsuchende lieb Kind machen will.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt