Inhalt der Printausgabe

Dezember 2004


Humorkritik
(Seite 2 von 7)

Geschenkempfehlungen
Die allfällig und insbesondere vor Weihnachten anschwellende Ratlosigkeit mal Verzweiflung darüber, was man denn nun dem alten Mütterlein unter den Jahresendfeierbaum legen solle, will ich bereits jetzt im Keime ersticken und nachfolgend vier Digitalplatten empfehlen, die mir übers Jahr sehr ans Herz gewachsen sind: Daß der Schauspieler, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Hanns Zischler auch ein begnadeter Vorleser ist, hat er durch die kürzlich erschienene siebenstündige Verlesung von Eckhard Henscheids "Vollidioten" (bei Zweitausendeins) abermals eindrucksvoll bewiesen; fast noch schöner, konziser und hingebungsvoller dünkt mir indes seine Präsentation von Tiervater Alfred Brehms "Aus dem Leben der Vögel" (Kunstmann Verlag). So schön hat noch keiner zugunsten des Sperlings gesprochen! Und erleichtert stelle ich abermals fest, daß der hemmungslos moralisierende und personifizierende Brehm in seinen Vogelvorlieben und -verdammungen so sympathisch souverän wie sinnlos agiert - ist ihm doch der Spatz in der Vogelwelt das, was in der vierbeinigen der Hund vorstellt: "der beste Freund des Menschen". Beileibe nicht jedoch ist Brehm der beste Freund aller Vögel. Dem Raben wird, bei allem kritischen Wohlwollen, eine unheilige Neigung zum "Morden" und "Rauben" unterstellt, wohingegen dem Uhu auf lautmalerisch sinnfällige Weise vorgeworfen wird, er sei "ewig unlustig, unmutig, unwirsch, ärgerlich ohne Grund und Ursache". Sadistische Einsprengsel und romantische Schwärmereien nebst Abhandlungen über Storch und Kranich verkürzen aufs schönste die Zeit bis zum nächsten Vogelzug.
Ungleich musikalischer als der krächzende Rabe, der keifende Kranich oder der unkende Uhu kommt in Gestalt der Damen und Herren Anne Bärenz, Frank Wolff, Sabine Fischmann, Ali Neander und Markus Neumeyer das "Neue Frankfurter Schulorchester" daher, welches mit dem Live-Mitschnitt seiner "Shanghai Show" (Rillenwerke 0431 bei Büchergilde Gutenberg) den geneigten Zuhörer außerhalb Frankfurts spürbar entlastet. Nun kann er sich den klingenden, klimpernden, kreischenden und klamaukigen Mix aus Klassik, Rock, Avantgarde und Chanson endlich ins Haus holen, den Texten von Hollaender, Morgenstern, Patti Smith und den Kollegen Bernstein und Gernhardt lauschen oder einfach nur den sirrenden Obertonkaskaden des virtuosen Standcellisten Frank Wolff.
Wer sich indessen schon immer gefragt hatte, wie wohl die Stimme des hochverdienten Babel-, Gogol-, Puschkin-, Turgenjev- und Tschechow-Übersetzers Peter Urban klingen mag, der kann diese in dessen Eigenschaft als Daniil-Charms-Entdecker, -Herausgeber und nun auch -Vorleser hören ("Daniil Charms - Fälle. Gelesen von Peter Urban", Kein und Aber Records via Eichborn). Die Überraschung: Peter Urban klingt wie ein Übersetzer, der nun auch vorliest. Dies aber gar nicht schlecht. Und allein schon die Gelegenheit, Charms' charmante Miniatur "Begegnung" ("Da ging einmal ein Mensch ins Büro und traf unterwegs einen anderen Menschen, der soeben ein französisches Weißbrot gekauft hatte und sich auf dem Heimweg befand. Das ist eigentlich alles") auch mal in melodiösem Russisch hören zu können, macht diese schön gestaltete Platte zum unverzichtbaren komischen Hausschatz.
Wer mir nun vorwerfen mag, ich hätte die bisherigen CD-Empfehlungen nur vorgeschaltet, um meine derzeitige Lieblingsplatte zu avisieren, den kann ich kaum der Vorwurfsunhaltbarkeit zeihen - ist doch auch "Ein Kessel Braunes" (Trikont), die vierte CD des Telefonstreichtrios Studio Braun, überwiegend lustig.
Erstaunlich sogar, wie tragfähig das strukturell ja durchaus simple Telefonspaßkonzept nach wie vor ist, jedenfalls wenn es nicht von Jahrhundert-Seichtköpfen wie Bodo Bach, sondern von den Herren Strunk, Schamoni und Palminger ins Werk gesetzt wird. Auch wenn unvermeidbar alte Standards variiert werden: da blitzt es hier noch mal neu und funkelt da noch mal frisch ums Eck, und wenn Heinz Strunk, der gerade einer Angerufenen das Angebot gemacht hat, mit dem von ihr zum Verkauf angebotenen Glücksspielautomaten und gemeinsam mit ihren Söhnen ("ich dachte, die sind vielleicht kriminell") beim Juwelier Wempe die Scheibe einzuschlagen und dann halbe-halbe zu machen, vom zu Hilfe gerufenen Sohn gefragt wird, was denn mit ihm eigentlich los sei?, was er denn habe?, glucksend, aber unschlagbar einleuchtend antwortet: "Geldschwierigkeiten", dann finde ich es vor lauter Lachen schon schade, daß ich nicht Jochen Schmidt heiße; und so die komische (nichttelefonische) Liebeserklärung im sechsten Stück ("Jochen Schmidt") nicht mir gilt.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick