Inhalt der Printausgabe
August 2004
Humorkritik (Seite 6 von 8) |
Göttinger Schwan |
Alle Gedichte sind komisch, verfügte einmal mein Kollege Gernhardt; aber, frei nach George Orwell, einige Gedichte sind doch komischer als andere. Und am komischsten, sage ich probehalber einmal selbst, sind die ernstgemeinten. Jedenfalls dann, wenn Amateure zum Versbesteck greifen wie der Göttinger Rentner Erich August Echtermeyer, was freilich nicht sein richtiger Name ist: "Da ich dies als Nicht-Fachmann herausgebrachte Buch nicht mit dem Autor erscheinen lassen wollte, unter dem meine drei fachwissenschaftlichen Bücher herausgekommen sind", tippte er in das der Universitätsbibliothek gestiftete Exemplar hinein, "habe ich mich, als in Echte geborener, mit dem Decknamen Echtermeyer versteckt." Der so mit Namen Versteckte hieß eigentlich Erich Meyer, und daß sein Pseudonym sang und klang wie jener schulmäßige "Deutsche Gedichte"-Kompilator Theodor Echtermeyer des 19. Jahrhunderts, war ihm, der sein Berufsleben als Physiker abgespult hatte, durchaus unbekannt. Gekannt hat er hingegen just Michelangelos Sonettfragmente, und die vollendete er 1975 kongenial in seinem ersten Gedichtband. Die fehlenden ersten zwei Vierzeiler ausbügelnd, hebt Echtermeyer bspw. an: "Der Kirschen Blüte, sonnenzugewandt. / Und bald - befruchtet - kleines Kirschlein schwillt. / Bald saft'ges Fruchtfleisch seinen Kern umhüllt, / Bis blutrot Kirschen-Farben-Pracht entbrannt. // Die Kirsche fällt, vom Boden schnell gebannt. / Des Fleisches Saft des Kernes Hunger stillt. / Im Kern versiegend ist sein Sein erfüllt. / Fruchtfleisch verging; im Kirschtrieb es erstand." Und nicht einmal unbegabt fährt Michelangelo im eigenen O-Ton fort: "In mir ist Tod! in Dich ging all mein Leben! / Du nimmst und Du bestimmst ihm seine Zeit, / ob kurz, ob lang, bei Dir liegt der Entscheid. // Mein Glück ist Deinem Willen hingegeben. / Die Seele stieg empor, durch Dich geweiht, / Die Gott zu schauen lange schon bereit." Daß Echtermeyer ein echter Ziehsohn und Barde Göttingens war, bewies er sodann mit dem Band "Göttingen auch eine immerfort sich wandelnde Stadt / durchleuchtet mit Hilfe von 155 Sonetten". Ob er das Göttinger "Alpenglühen" bedichtet, wenn das Licht der abgehenden Sonne die Hochhäuser rot malt, oder die "Gänger-Zone" der Innenstadt, die Weender Straße, bereimt ("Hier wird begegnet, diskutiert, geständert, / Die ›Weender‹ hat zu Schönerem sich verändert"), ob er energisch für Fenster streitet ("Wer Fenster braucht, der baue Fenster ein!") oder dem Stahlbeton eine Lanze bricht: "Am Stahlbeton das Beste ist der Stahl. / Gleich einer Sehne spannt er seine Saite, / Daß sich bei Zug zu Riß und Bruch nicht weite / Die Masse, die den Druck zu fangen wahl" - hier erblühte ein jung werdender Poet, der einen experimentellen Sprachbeton goß und doch leider zu alt war, als daß er mehr als diese zwei Bändchen in den Druck zu fangen wahl: Bald danach verscholl der Nachfahre Friederike Kempners, der Göttinger Schwan Erich August Echtermeyer. Im Kern versiegend war sein Sein erfüllt… |
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