Inhalt der Printausgabe
April 2004
Gerhard Schröder Erinnerungen 1944-1998 (Seite 3 von 3) |
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Ganz oben Schon als Kind wollte ich hoch hinaus: Mal an die Keksdose auf der Fensterbank kommen, mal ohne Leiter ins Bett. "Ich will hier rauf!" schrie ich dann und wartete, bis Mutti kam und mir eine haute. Das, so schwor ich mir, sollte mir nie wieder passieren. Ich wollte nach oben, ich wollte Macht, um dann gesetzlich ganz niedrige Betten und Heizungsthermostate in Fußbodennähe durchzusetzen - im demokratischen Konsens, versteht sich. | ||
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Zuerst einmal galt es jedoch, Niederlagen einzustecken: Als es 1993 um die Wahl zum Parteivorsitzenden ging, wählten mich die "lieben" Genossen nur zum Zweiten Ersatzkassenwart, 1994 nicht mich, sondern einen bärtigen Mann mit gerade mal einer Ehefrau zum Kanzlerkandidaten. Immerhin durfte ich bei Rudolf Scharping in der sog. Troika mitmachen: Scharping war Kandidat, Lafontaine der Experte für Sozialismus und Damenbesuch und ich designierter Superminister für Wirtschafts-, Verkehrs- und Energiepolitik, denn von Wirtschaft und Verkehr verstand ich etwas, und energisch war Hillu für zwei. Aber eine goldene Regel der Politik besagt: Nicht der mit dem schönsten Bart wird Kanzler, sondern der mit dem Schlag bei den Weibern. Rudolfs Niederlage war deshalb praktisch Formsache, und da ich mit Versagern nichts zu tun haben will, kehrte ich nach Hannover zurück, wo ich mich als Ministerpräsident weiterhin für Innovation und Sozialdemokratie mit menschlichem Antlitz starkmachte. In der Folgezeit zeigte sich, daß Hillu mir keine Extra-Currywurst mehr braten wollte, ja: Sie wollte überhaupt nicht mehr braten. Die armen Schweine täten ihr so leid! Dabei war die Sozialdemokratie gerade wieder im Aufwind, und das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war eine Frau, die mir längst egal war und außer Frauen- und Umweltgedöns nichts "auf der Pfanne" hatte - von einem schönen Schnitzel ganz zu schweigen! Da traf es sich, daß ich in der Damensauna des Bundestags die Journalistin Doris Köpf kennenlernte, die gerade im Auftrag der Bild-Zeitung meinen Spind durchsuchte. "Na na, Fräulein", scherzte ich, "aber nicht in meinen Spind äpfeln! Haben Sie morgen schon etwas vor? Ich kenne da ein entzückendes kleines Standesamt…" Erst zierte sie sich ein wenig und scharrte unentschlossen, dann ging sie natürlich mit. Denn wenn Frauen eines unwiderstehlich finden, dann Männer, die mit Tausendmarkscheinen wedeln! Und natürlich den Duft der Macht. Denn die war jetzt ganz nah. Am 1. März 1998 gewann ich die Niedersachsenwahl mit absoluter Mehrheit und wurde daraufhin zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei gewählt. In den nächsten Monaten legte ich einen Wahlkampf nach amerikanischem Muster hin, der in der Wahlkampfkasse keinen Schein auf dem anderen ließ: Ständig saß ich im Fernsehen herum, verteilte Autogrammkarten von Oskar Lafontaine und erfand ne-ben-bei die Neue Mitte, die ganz gezielt leitende Angestellte, Porschefahrer und Zahnärzte mit Kohl-allergie ansprach. Programmatischer Kernsatz meines Wahlkampfs war: "Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse, meine sehr verehrten Damen und Herren!" | ||
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Am 27. September 1998 war ich dann am Ziel meiner Träume: Wir gewannen die Bundestagswahl, und ich wurde Kanzler. Die erste, die ich nach meiner Wahl anrief, war Mutti. "Junge", sagte sie mit tränenerstickter Stimme, "ich habe Hitler überlebt, da werde ich dich auch überleben!" Stefan Gärtner / Oliver Nagel
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