Inhalt der Printausgabe

April 2004


Gerhard Schröder
Erinnerungen 1944-1998
(Seite 3 von 3)

Ganz oben
Schon als Kind wollte ich hoch hinaus: Mal an die Keksdose auf der Fensterbank kommen, mal ohne Leiter ins Bett. "Ich will hier rauf!" schrie ich dann und wartete, bis Mutti kam und mir eine haute. Das, so schwor ich mir, sollte mir nie wieder passieren. Ich wollte nach oben, ich wollte Macht, um dann gesetzlich ganz niedrige Betten und Heizungsthermostate in Fußbodennähe durchzusetzen - im demokratischen Konsens, versteht sich.
 
Schröder und die Frauen: Hier auf dem Bezirkspresseball Goslar 1985 mit der Frau seines besten Freundes, Hiltrud Hampel (17). Für sie nimmt er um die sieben Kilo zu.

Zuerst einmal galt es jedoch, Niederlagen einzustecken: Als es 1993 um die Wahl zum Parteivorsitzenden ging, wählten mich die "lieben" Genossen nur zum Zweiten Ersatzkassenwart, 1994 nicht mich, sondern einen bärtigen Mann mit gerade mal einer Ehefrau zum Kanzlerkandidaten. Immerhin durfte ich bei Rudolf Scharping in der sog. Troika mitmachen: Scharping war Kandidat, Lafontaine der Experte für Sozialismus und Damenbesuch und ich designierter Superminister für Wirtschafts-, Verkehrs- und Energiepolitik, denn von Wirtschaft und Verkehr verstand ich etwas, und energisch war Hillu für zwei.
Aber eine goldene Regel der Politik besagt: Nicht der mit dem schönsten Bart wird Kanzler, sondern der mit dem Schlag bei den Weibern. Rudolfs Niederlage war deshalb praktisch Formsache, und da ich mit Versagern nichts zu tun haben will, kehrte ich nach Hannover zurück, wo ich mich als Ministerpräsident weiterhin für Innovation und Sozialdemokratie mit menschlichem Antlitz starkmachte.
In der Folgezeit zeigte sich, daß Hillu mir keine Extra-Currywurst mehr braten wollte, ja: Sie wollte überhaupt nicht mehr braten. Die armen Schweine täten ihr so leid! Dabei war die Sozialdemokratie gerade wieder im Aufwind, und das letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war eine Frau, die mir längst egal war und außer Frauen- und Umweltgedöns nichts "auf der Pfanne" hatte - von einem schönen Schnitzel ganz zu schweigen! Da traf es sich, daß ich in der Damensauna des Bundestags die Journalistin Doris Köpf kennenlernte, die gerade im Auftrag der Bild-Zeitung meinen Spind durchsuchte. "Na na, Fräulein", scherzte ich, "aber nicht in meinen Spind äpfeln! Haben Sie morgen schon etwas vor? Ich kenne da ein entzückendes kleines Standesamt…" Erst zierte sie sich ein wenig und scharrte unentschlossen, dann ging sie natürlich mit. Denn wenn Frauen eines unwiderstehlich finden, dann Männer, die mit Tausendmarkscheinen wedeln! Und natürlich den Duft der Macht.
Denn die war jetzt ganz nah. Am 1. März 1998 gewann ich die Niedersachsenwahl mit absoluter Mehrheit und wurde daraufhin zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei gewählt. In den nächsten Monaten legte ich einen Wahlkampf nach amerikanischem Muster hin, der in der Wahlkampfkasse keinen Schein auf dem anderen ließ: Ständig saß ich im Fernsehen herum, verteilte Autogrammkarten von Oskar Lafontaine und erfand ne-ben-bei die Neue Mitte, die ganz gezielt leitende Angestellte, Porschefahrer und Zahnärzte mit Kohl-allergie ansprach. Programmatischer Kernsatz meines Wahlkampfs war: "Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse, meine sehr verehrten Damen und Herren!"

* * *

 
Schröders schwerste Nieder-lage: Beim entscheidenden Aufstiegsspiel von Hannover 96 gegen den VfL Oldenburg im März 1992 vergibt Schröder, als Joker eingewechselt, 24 Großchancen und wird nach Abpfiff sofort zum schlechtestangezogenen Fußballspieler der Regional-liga Nord gewählt.
Am 27. September 1998 war ich dann am Ziel meiner Träume: Wir gewannen die Bundestagswahl, und ich wurde Kanzler. Die erste, die ich nach meiner Wahl anrief, war Mutti. "Junge", sagte sie mit tränenerstickter Stimme, "ich habe Hitler überlebt, da werde ich dich auch überleben!"
ENDE


Stefan Gärtner / Oliver Nagel


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg