Inhalt der Printausgabe

April 2004


Gerhard Schröder
Erinnerungen 1944-1998
(Seite 2 von 3)

Die mittleren Jahre
"Ich will da rein!" war von nun an mein Kampf- und Schlachtruf. Klar aber auch jetzt schon, daß ich nicht nur Mädchen-, sondern auch Medienkanzler werden wollte, denn nach meinem ersten Interview, das ich als regionaler Juso-Vorsitzender 1968 dem Göttinger Tageblatt gegeben hatte, wollte die zuständige Volontärin mit mir sofort in medias res -gehen. Und soviel Lateinum konnte ich natürlich, daß ich wußte, was damit gemeint war! Fünf Minuten später waren wir verheiratet, denn schlechter Sex vor der Ehe kam für sie nicht in Frage.
Leider hielt die Verbindung mit Eva nur vier Jahre. Sie wollte einfach zu viel von mir: mal ein liebes Wort, mal eine Einladung zur Currywurst. Aber ich hatte einfach zuviel um die Ohren: hier die Arbeit auf dem Scheißebau, um mein Jurastudium zu finanzieren, dort die aufreibende und verantwortungsvolle Tätigkeit eines Juso-Vorsitzenden in Göttingen.
In den Siebzigern war die Stamokap-Diskussion aufgekommen. Ich war dagegen, denn Kopfbedeckungen hatten mir noch nie gestanden. Schon damals erarbeitete ich mir einen Ruf als Praktiker: Ich war praktisch ständig betrunken, mein Lieblingsgetränk war "Kleiner Feigling". Und am nächsten Morgen lag ich meist nicht nur mit einer Mieze, sondern auch mit einem Kater im Bett!
Meine Witze waren im übrigen nie be-sonders. Dafür war meine Politik durch und durch spaßorientiert: Ich unterstützte Berufsverbote für Radfahrer, den Schuldenerlaß für Radikale und -einen massiven Innovationsstop im Nahverkehr, war aber ganz und gar gegen Rück-trittbremsen, Haushaltsdisziplin und Kommunalscheiße.
In meiner Zeit als Referendar am Landgericht Hannover lernte ich dann meine wichtigste Lektion: Die Großen hängen ab, die Kleinen läßt man laufen. Vom Richterzimmer in die Kantine, von der Teeküche zum Rapport, vom Scheidungsrichter zum Standesamt, wo ich 1972 meine zweite Ehefrau Anne heiratete. Kennengelernt hatte ich sie bei einem schweren Auflaufunfall in der Wohnküche des Schwesternwohnheims Hannover-Laatzen: "Was riecht denn hier so abgebrannt?" fragte ich forsch in die Runde, um sogleich die Antwort parat zu haben: "He, das bin ja ich!" Alle lachten, und ich haute ihnen ein paar in die Schnauze, denn wenn ich etwas nicht leiden kann, dann Witze auf Kosten des kleinen Mannes. Nur eine hatte nicht gelacht, sondern gähnend das Radioprogramm gewechselt. Das imponierte mir mächtig, aber geheiratet habe ich dann doch lieber ihre Freundin mit den dicken Glocken.
 
"...verlange ich im übrigen mit allem Nachdruck, daß diese öde antikapitali-stische Scheiße hier nachhaltig und spätestens um sechs in den ›Lustigen Lurch‹ verlegt wird!" Gerhard Schröder, wie er damals schon leibte und lebte, auf dem Bundeskongreß der Jungsozialisten 1979 in Aschaffenburg

* * *

1980 wurde ich in den Bundestag gewählt und hielt meine erste Rede zum Thema "Das moderne Deutschland schafft mich". Aus Protest gegen die Umverteilung von oben nach unten hatte ich mir Mut angetrunken und stolperte allein 24mal über das Wort "Solidarität", sagte immer "Solilarifari"!
Im übrigen habe ich meine Zeit in Bonn in durchaus angenehmer Erinnerung. Die Abende verbrachte ich im "Dicken Eugen", die Nächte im Zweifel: Sollte ich mich von Anne scheiden lassen? Und wenn ja: warum? Dafür sprach, daß sie dem Ehestreß, den so ein Politikerleben mit sich bringt, in keinster Weise gewachsen war: Rief ich nachts um vier an, um "Guten Morgen!" zu sagen, wurde ich beschimpft, rief ich nicht an, war es natürlich auch wieder nicht recht. Dagegen sprach, daß ich eben doch hin und wieder ganz gerne was an die große Glocke hänge, z.B. Innovationsstau oder Rentenkürzung. Es kam, wie es kommen mußte: Zwei Jahre nach dem Bonner Regierungswechsel stürzte ich die abgewirtschaftete und im großen und ganzen ausgebrannte Frau Schröder mittels eines konstruktiven Mißtrauensvotums und wählte einstimmig die engagierte Veganerin Hiltrud "Hillu" Hampel zur neuen Vorsitzenden des Innen- und Familienausschusses.
Das Jahr 1986 brachte Europa zwei große Katastrophen: Im russischen Tschernobyl explodierte ein Atomkraftwerk, und ich verließ Bonn, um ab sofort in Niedersachsen Politik zu gestalten. Unermüdlich tourte ich durchs Land, um meine Vorstellung von einem Politikwechsel transparent zu machen: viel netto für alle, ein liberales Scheidungsrecht und mehr Jugendhäuser für Tarifautonome. Hillu unterstützte mich, wo sie nur konnte, band mir Schuhe und Krawatten und brachte mir bei der Landtagswahl 1990 die Stimmen von Betroffenheitsmuttis mit Helfersyndrom, die mir auf den Sessel des Ministerpräsidenten halfen. Leitmotive meiner ersten Regierungserklärung waren damals "Modernisierung der Ökologie und wirtschaftlich gesundes Miteinander mit Augenmaß und Chuzpe", anschließend sprach ich mein erstes Machtwort ("Hol mir mal 'ne Witwe Clicquot!") und feuerte den Redenschreiber fristlos. Ein Begriff wie "bourgeoise Herrschaftselite" hatte doch in einer Regierungserklärung nichts verloren!
 
Gerhard Schröder 1980 bei "Rock am Ring": Sein Hit "Fünfte Symphonie in b-moll" führt später zu gewalttätigen Ausschreitungen.

Dann wurde Deutschland wiedervereint, und ich machte schon damals deutlich, wie ich die Lage sah: durch die heitere Lupe und reichlich unscharf. Natürlich brachte die Einheit Chancen, aber auch Risiken. Schließlich war ich der letzte, der nicht wußte, wie problematisch eine "Ehe" zweier völlig unterschiedlicher Partner sein konnte: Ich hatte Geld, Macht und Ambitionen, Hillu hatte Minipli, Umweltschäden und wirkte schon leicht abgewickelt. Im übrigen konnte ich ihre Jammerei über Kapital und Supermarktabzocke bald schon nicht mehr ertragen, von den ständigen Transferleistungen in die Haushaltskasse mal zu schweigen!


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg