Inhalt der Printausgabe

Oktober 2003


Wurde auch Zeit:
SPD gibt auf (in Bayern)!
(Seite 3 von 5)

"Wir geben auf? Haha, schön wär's!" brüllt unverschämt ein Mittvierziger, um daraufhin souverän in der Menschenmenge zu verschwinden, die sich bislang leider nicht vor unserem schüchternen Stand aus Beistelltischchen und drei Plakataufstellern ("Ihre bewährte Opposition im Landtag. Wir kommen wieder 2011. SPD") versammelt hat. "Super Entscheidung!" assistiert ein Nicht-SPD-Mitglied, das sich ebenfalls nicht sonderlich gesprächsbereit zeigt, als wir ihm unseren Fragebogen hinterhertragen ("Was glauben Sie, in welchem Jahr die SPD wirklich Chancen auf einen Wahlsieg hat in Bayern? a) 2011, b) 2020, c) 2100, d) nie").

 


Da muß erst eine 29jährige Arbeitslose kommen und uns für das Nichtwahljahr 2011 die "besten Chancen" einräumen; auch wenn "die sozialste oder sozialdemokratischste Partei" ausgerechnet bzw. selbstverständlich "die Grünen" sind. "Sollten wir mehr auf Kompetenz setzen, auf den Kanzler oder auf Mitleid?" Auf den Kanzler, findet die Fastdreißigerin kompetenzkritisch und möchte nicht, daß "die SPD weiterhin Milliarden in den Osten schaufelt", das Geld "sollte man lieber für Deutschland ausgeben", womit sie ja eventuell auch recht hat.
 


Absolut recht hat auch ein Mittfünfziger mit Dreitagebart, Goldrandbrille und Karohemd: "Warum sollte ich Sie wählen?" herrscht er Ortsgruppenleiter Sonneborn an und fuchtelt mit dem Zeigefinger in der Luft herum. "Warum nicht?" drückt der Gedemütigte ihm ein Autogrammfoto des hessischen SPD-Verlierers G. Bökel in die Hand. "Ich bin auch nicht schlechter als die anderen." -
Was würden Sie eher tun: SPD wählen oder mit nackten Füßen durch einen Ameisenhaufen gehen?
SPD: 50%
Ameisenhaufen: 50%
"Das reicht nicht! Überhaupt, was heißt hier Landtagswahl 2011?" - "Nun ja, wir denken langfristig. Die nächste Wahl verlieren wir doch bestimmt, und die danach wahrscheinlich auch noch. Und wir können die Plakate dann noch zweimal benutzen." Alle Welt schreit, es müsse gespart werden, aber tut man's dann, ist es auch wieder nicht recht: "Das ist doch kein Optimismus, den Sie hier verbreiten, das ist doch keine Aufbruchsstimmung!" - "Dochdoch", eifert der Optimist Sonneborn eifrig, "wir sind ja fest entschlossen, optimistisch zu sein. Wir wollen bis zum Schluß kämpfen. Deswegen sind wir hier. Aber reichen wird es ja dann doch nicht, ich rechne mal so mit knapp 20 Prozent." -
Welches ist sicherlich mit Abstand die dümmste Partei im bayerischen Landtag?
REP: 22%
Grüne: 11%
CSU: 11%
Aussage aus Scham verweigert: 56%
"Sie bräuchten bessere Fotos und vor allem bessere Slogans! Ich bin nicht umsonst im Vorstand eines großen Unternehmens, ich habe immer alle schlechten Werbeslogans persönlich in Frage gestellt! Über einen guten Slogan muß man nachdenken, und hier hat jemand nicht lange nachgedacht!" Also, wenn man nötig aufs Klo muß, sind 20 Sekunden verdammt lange! "Das kann man doch nicht machen, vorher schon sagen, daß man verliert! Man muß es zumindest in Frage stellen: Vielleicht verlieren wir!" macht der alerte Bescheidwisser einen schönen Vorschlag - "Und wie finden Sie das hier", fragt Karteileiche Rürup versöhnlich und deutet auf unser drittes Plakat mit Franz Maget vornedrauf. "›Dabeisein ist alles‹ - ah, das geht, das ist schon besser!"
 
Klarer Fall von Scheißebauhaus: unterfränkische Architektur pur.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg