Inhalt der Printausgabe
Oktober 2003
Humorkritik
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Der Phall Grass |
Gerne bin ich immer wieder bereit, fruchtbare Ideen zu verspritzen, aus denen andere dann was machen dürfen. Zum Exempel: "Die Erektion als Topos der deutschsprachigen Lyrik von den Minnesängern bis heute" - wär' das nicht was, Doktoranden (und Doktorandinnen!)? Material gäb's allemal genug. Von derben Direktheiten wie z.B. aus der Flegelfeder F. Schwengels, Unsinn: Schlegels ("Der Müllerbube schiebt hinauf zur Mühle / Auf seinem Karren einen Mühlenstein, / Und in die Öffnung schob er glatt hinein / Sein steifes Glied und schaffte so sich Kühle") über schwüle Schamhaftigkeiten à la R. Maria Rilke ("Schwindende, du kennst die Türme nicht. / Doch nun sollst du einen Turm gewahren / mit dem wunderbaren / Raum in dir. Verschließ dein Angesicht") bis zu aktuellen Phallbeispielen. G. Grass etwa legt in seinem neuen Gedichtband "Letzte Tänze" (Steidl) die Lyrik-Latte mit seinem Poem "Zuletzt drei Wünsche" ziemlich hoch: "Komm, lieg mir bei, solang mein Einundalles steht / und wichtig tut, als stünd er zum Beweis, / worum in aller Welt es laut Statistik geht: / nah dem Polarkreis, in der Wüste Gobi koitieren / selbst Greise noch, bevor sie kollabieren / und suchen Lustgewinn um jeden Preis. / Drum bitt ich dich, Geduld als Stütze zu begreifen, / bis er - du staunst - beginnt, sich zu versteifen." Die Grass-Rezeption bedarf einer gründlichen Revision, denn wer geglaubt hat, das (bei) Grass stehende "Einundalles" sei sein Schnauz und wichtig tue der Nobelpreisträger grundsätzlich und in toto, sieht sich zu einer Korrektur genötigt: Weder Bart noch Barde, sondern allein des greisen Grass' Phallus tut das alles. Der Dichter freilich auch: bis er kollabiert und beginnt, sich zu versteifen, ejakuliert er - du staunst - nah am Polarkreis in Lübeck stolz und munter fort, u.a. um jeden Nobelpreis - hier steht es zum Beweis -, lustige Lasziv-Lyrik. Kommt, steht ihm bei. |
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