Inhalt der Printausgabe

November 2003


TITANIC-TELEFON-TERROR:
Das grosse Jammern
(Seite 5 von 5)

Frau Bürger
"Die verscheißern uns!"

TITANIC …wollen wir es mal versuchen?
Bürger Ja, und da kann ich Ihnen gleich was erzählen. Wir hatten gestern einen schönen Anruf aus dem Westen, wurden eingeladen. Es hieß: medizinisch-technische Geräte. Und am Ende kam heraus, daß wir wieder abgezockt werden sollen, 3000 Mark. Es sollten magnetische Betten verkauft werden, und drei Fragen sollten wir beantworten: ob der Euro ein Teuro ist, und wann er eingeführt wurde. Und daraufhin hieß es, Sie kriegen noch eine Einladung, Sie haben sich ein Geschenk verdient, und Sie können Ihren Ehepartner mitbringen.
TITANIC (warnend) Klingt nach Bauernfängerei!
Bürger (resigniert) Ja, aber wissen Sie, das war eigentlich seriös, wir haben das Blatt sechsmal rumgedreht, wir wollten ja nun nicht schon wieder reinfallen…
TITANIC Sind Sie denn schon mal?
Bürger Fast, fast! Meine Mutter hatte mich mitgenommen, und da konnte ich sie gerade noch bremsen mit so'm Magnetbett.
TITANIC Gute Güte, was kostet denn so was?
Bürger 1500 Euro!
TITANIC Puh! Unseriös!
Bürger Ich kann Ihnen sagen, am Anfang sind wir alle drauf reingefallen. Der Mann aus Hamburg, der das vorgetragen hat, der war wunderbar! Da kriegten wir ein Glückwunschschreiben mit Rose, dann gab's noch Mittagessen, das war natürlich umsonst. Dann holte der Mann so Briefumschläge raus, zählte die 50-Euro-Scheine ab, bis es 800 waren, und verschenkte die an die Ehepaare im Raum! Die kriegten das als Geschenk sozusagen und mußten nur noch die Hälfte für das Bett bezahlen. Aber es ist ja der doppelte Preis, also waren es trotzdem 1500 dann. Und gestern sind bestimmt zehne darauf reingefallen… (schwärmerisch) Aber die bringen das sooo schön rüber! (anerkennend) Und die verscheißern uns… Der hat das mit dem Funkgerät bewiesen! Und eine Leuchtröhre mit dem Handy zum Strahlen gebracht, der Elektro-Schmoog wurde angesprochen, also ich kann Ihnen sagen…
TITANIC Nee, lassen Sie mal, ich glaube, das hat sich erledigt.

Gute Güte, von wegen "mündige Bürger"! Wer sich auch noch freut, daß er "verscheißert" wird, ist wohl kaum richtig bei uns. Aber langsam ist's auch Zeit für Frau Müller:


 
Jammern auf mittelhohem Niveau


Frau Müller
"Ach, beleidigen nicht?"

TITANIC Hallo? Ist das die Ossi-Jammer-Hotline?
Müller Ja. Also folgendes: Ich bin mit der ganzen Politik überhaupt nicht einverstanden. Das geht schon los bei der Angleichung und bei der Beschimpfung. Da wir ein Deutschland sind, sind die Unterschiede wie Tag und Nacht. Es geht schon beim Arbeitslosengeld los. Die im Westen, die haben doch alle mehr! Wir, wir müssen für ein Apfel und für ein Ei arbeiten.
TITANIC (bestätigend) Das stimmt.
Müller (emotional) Die Wessis, die beschimpfen uns doch immer als Schweine! Als faule Schweine! Wir sind aber keine Schweine, faulen Schweine! Das kann doch nicht sein! Es muß doch endlich mal was geschehen. Die Leute sollen doch endlich mal auf die Straße gehen, wir dürfen uns das nicht bieten lassen!
TITANIC Das ist schon sehr gut! Vielleicht auch noch mal so ein bißchen: Wir Ossis… Und auch noch mit furchtbar und grauenhaft…
Müller Die Ossis lassen sich alles gefallen, das ist wirklich grauenhaft. Die Wessis drüben, die würden niemals aufstehen für 60 Euro Arbeitslosenhilfe bekommen, die würden niemals ein Bein aus dem Bett raustun. Wir müssen das aber!
TITANIC (lobend) Das ist schon sehr gut. Können Sie auch über Reisen?
Müller Wir Deutschen können uns doch das gar nicht leisten, wir müssen sehen, daß wir immer im Monat mit dem Geld auskommen.
TITANIC (mahnend) Wir Ossis, Sie müssen sagen: Wir Ossis!
Müller Wir Ossis, wir müssen sehen, wie wir Monat für Monat unsere Sachen bezahlen können, was die Wessis nicht haben. Die Wessis, die nehmen Kredite auf, Kredite auf. Wir als Ossis bekommen ja gar keinen Kredit, wenn man arbeitslos ist. Das ist eine Schande ist das!
TITANIC Sehr gut! Wie sind denn die Zukunftsaussichten für den Osten?
Müller Die Zukunftsaussichten für die Ossis sind schlecht! Wenn sich hier nicht bald was tut, dann wird für uns eine bittere Zukunft hervorgerufen! Was die Wessis nicht haben, die machen sich ja in allem keine Gedanken!
TITANIC (belehrend) Aber bitte nicht beleidigend werden, die Leute sollen ja in der Leitung bleiben und sich das Gejammere anhören.
Müller (erstaunt, normaler Ton) Ach, beleidigen nicht? Weil, ich wollt jetzt mal meinen Aggressiven rauslassen…
TITANIC Nee, mehr so weinerlich. Nicht zu aggressiv werden, nicht daß die Leute auflegen.
Müller Da soll ich den Leuten sagen, also passen Sie mal auf, Sie haben sich ja jetzt von mir alles angehört, und Sie könnten ja auch noch mit anderen Leuten darüber reden, es muß endlich mal was geschehen…
TITANIC Nee, nee, wir wollen ja nicht zur Revolution aufrufen. Wir bieten ja eine Serviceleistung für Leute, die sich amüsieren wollen über die Weinerlichkeit im Osten. Wir wollen ja nur Geld verdienen. Also einfach in hoher Weinerlichkeit den Leuten vorjammern, wie es im Osten wirklich ist.
Müller (in hoher Weinerlichkeit) Also die Preise, mit dem Euro und so. Das meinen Sie?
TITANIC Genau, und daß man so Mensch zweiter Klasse ist.
Müller Ja, das sind wir ja auch, nicht?
TITANIC Ja, das hört sich schon sehr gut an, ich nehm' Sie mal auf unsere Warteliste. Wir brauchen noch einen Beschluß unseres Vorstandes, weil manche Leute sagen, es sei unseriös, damit Geld zu verdienen. Aber wenn das klappt, dann sind Sie dabei.
Müller (begeistert) Hm, schön! Rufen Sie mich dann an!

Obwohl der Vorstand abends noch tagt und nach langer Diskussion grünes Licht gibt, scheitert unsere Jammer-Ossi-Hotline letzten Endes. Die Idee, die - zufällig mitgeschnittenen - Gespräche unter einer echten 0190-Nummer anzubieten, scheitert an der überzogenen Gebührenforderung der Telekom. Und natürlich an der kritischen Seriositätsprüfung, die uns angekündigt wird - schließlich geht's bei uns nicht um Sex.
Frau Müller aber können Sie dennoch jammern hören: umsonst und unter www.titanic-magazin.de


Martin Sonneborn

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg