Inhalt der Printausgabe

November 2003


TITANIC-TELEFON-TERROR:
Das grosse Jammern
(Seite 3 von 5)

Frau Beyer
"…aus Scheiße Bonbons gemacht!"

Beyer Wie ist das, wenn jemand anruft, erwartet der was? Fragt der was?
TITANIC Nein, die Anrufer sagen oft nichts, die wollen nur zuhören.
Beyer Vorausgesetzt, die legen nicht gleich wieder auf.
TITANIC Nein, die wollen das ja hören, die bezahlen ja dafür.
Beyer (zufrieden) Ach, die bezahlen das? Aha!
TITANIC Und dafür bietet man ihnen was, nämlich eine schöne runde Jammerei über den Osten.
Beyer (seufzend) Das einzige, was mich dran reizt, ist das Geldverdienen. TITANIC Das Geld ist natürlich ein Anreiz.
Beyer (bewundernd) Die Geschäftsidee, wenn es meine wär, fände ich genial. Aber, daß ich einen jammernden Ossi spielen soll…
TITANIC Aber das können Sie doch viel besser als wir.
Beyer Na, da ich nun im Osten bin, kann ich ja genug jammern (lacht).
Alles war früher besser gewesen. Die soziale Sicherheit ist nicht mehr gegeben. Jeder hatte früher seine Arbeit, was ja jetzt im Zuge der Einheit weggefallen ist, Schule, Gesundheitswesen, soziale Betreuung. TITANIC Vielleicht können Sie noch ein paar Attribute wie grauenhaft oder schlimm einstreuen?
Beyer Ich würde sagen, es ist beängstigend. Und grauenhaft auch, die ganze Politik. Und vor allem: Nur der kleene Ossi ist ja der Dumme. So kann es nicht weitergehen!
TITANIC (aufmunternd) Das klingt gut! Beyer Wenn wirklich mal einer auf die Barrikaden geht, dann ist es vorbei! Damals hatten wir 'ne friedliche Demonstration zur Einheit, aber demnächst wird das bestimmt nicht mehr so sein. Wenn die Leute wirklich die Nase voll haben… Die können sich das nicht mehr länger gefallen lassen.
TITANIC Deuten Sie ruhig so ein bißchen Revolution an!
Beyer Da muß irgendwas passieren. Denn wir Ossis haben auch alle gearbeitet, vielleicht besser als die Wessis. Denn bei uns wurde richtig gearbeitet, nicht nur gegammelt.
TITANIC Weiter!
Beyer Also wir haben mit der Einheit nichts gut gemacht, im Gegenteil. Also reisen konnten wir früher auch, Autos hatten wir auch, heute kann auch nur der reisen, der Geld hat…
TITANIC Wie finden Sie das Helmut Schmidt-Zitat?
Beyer (aufbrausend) Eine Sauerei! Ein Ossi würde nicht mehr nehmen, als ihm zusteht. Die schlechte Zahlungsmoral, das ist alles nur durch den Westen gekommen. Ein Ossi sucht sich noch nebenbei Arbeit, das haben wir immer gemacht, wir Ossis sind fleißig. Aber die Kataloge treiben die Leute in den Ruin, das können die Leute nicht einschätzen. Wir hatten andere Bedingungen, aber die wurden ausgeschöpft. Da wurde aus Scheiße Bonbons gemacht!
TITANIC Das klingt doch gut alles. Ich nehme Sie mal auf unsere Liste.

Hm. Besser arbeiten als im Westen, schön und gut, aber nur des Geldes wegen? Und nebenher noch - Schwarzarbeit? Frau Beyer wird direkt wieder von der Liste gestrichen!


 
Jammern auf hohem Niveau


Herr Wenzke
"Ich kann noch süßlicher werden!"

Wenzke …na sicherlich würde mich das interessieren!
TITANIC Ich hatte auch schon Anrufer, die wollten nicht das Ganze so negativ darstellen.
Wenzke Nojo, darüber muß man nicht diskutieren: Wer die Nummer anruft, ist selber schuld.
TITANIC (lacht)
Wenzke Also so muß man das doch mal sehen.
TITANIC Wenn Sie das so sehen. Dann sagen Sie doch mal ein paar Sätze.
Wenzke Na, daß die Zustände katastrophal sind, daß es keine Arbeit gibt, daß hier die ganzen Wohnungsunternehmen korrupt sind, daß es Betriebskostennachzahlungen gibt und, und, und. Da kann man überall anfangen. Mein Gott, hier gibt's genug Elend!
TITANIC (begeistert) Ja! Ja!
Wenzke Daß die Kommunen kein Geld haben, daß es jetzt mit der Arbeitslosenhilfe weggeht, daß viele vorm Abgrund stehen und, und, und.
TITANIC Ja! Weiter!
Wenzke (eifrig) Und das ist nur ein bißchen ausgeholt! Daß die Politiker korrupt sind, daß uns die Regierung im Stich läßt, daß sie uns blühende Landschaften versprochen haben und weiß der Kuckuck! Der demographische Faktor, die Städte überaltern, Korruption etc. Dann kann man das vom Fließband bringen, es gibt ja genug Not und Elend hier, das wissen Sie nur gar nicht!
TITANIC Gut, aber Sie haben noch so eine energische Stimme, kann man das nicht ein bißchen…
Wenzke Na, ich kann schon noch süßlicher werden!
TITANIC Nicht süßlicher, ich will jetzt nicht weinerlich sagen, aber es muß so ein bißchen in die Richtung gehen. Wenzke Also so rumbarmen?
TITANIC Ja, schon.
Wenzke (rumbarmend) Ja, das kann ich schon, da brauchen Sie keine Angst haben. Ich brauch mich nur auf meine Situation zu konzentrieren…
TITANIC Besser auf den Ossi allgemein. Wir wollen doch nur eine schöne Jammer-Hotline anbieten.
Wenzke Aha, Jammer-Hotline. Also, ich wäre interessiert!
TITANIC Gut, wir setzen Sie mal hier auf die Liste…

Tun wir natürlich nicht: Jammern wie am Fließband? Nein, wir brauchen eine überzeugende, individuelle Weinerlichkeit, die aus vollstem Herzen kommt.


 


Herr Keilisch
"…Kollzenteräeitschent!"

Keilisch (leise) Ich befinde mich ja gerade in einer Zweitausbildung zum Kollzenteräeitschent…
TITANIC (ratlos) Bitte was?
Keilisch Kollzenteräeitschent im Koll-Zenter.
TITANIC Ach, Call-Center-Agent. Fein, dann kennen Sie unsere Branche ja.
Keilisch (verzagt) Das sind aber in diesem Fall keine Angerufenen, sondern Reinrufende? Das kommt vielleicht
später auch noch im Praktikumsbetrieb, muß man alles sehen, man muß sich ja orientieren.
TITANIC Genau. Und die Reinrufenden machen sich einen Spaß daraus, wenn da rumgejammert wird.
Keilisch (verständnislos) Also rufen irgendwelche Leute an und fragen: Wie schlimm sieht's denn aus?
TITANIC Die fragen gar nicht. Das übliche ist wohl, daß ein paar junge Leute sich langweilen, anrufen und das Telefon auf Lautsprecher stellen. Und dann legen Sie einfach los und jammern, mit einer gewissen Weinerlichkeit in der Stimme.
Keilisch Aha, und kriegt man da jetzt so einen Text vorgegeben?
TITANIC Nur einen Leitfaden mit Schlüsselwörtern wie "soziale Ungerechtigkeit", "Dritte Welt Europas" "Hungergebiete". Aber im Prinzip müßten Sie ihre Situation skizzieren. Das ist ja Ihr Kapital, das kaputte Land.
Keilisch (zaghaft) Ja sicher, da ist schon viel Wahres dran. Andererseits bin ich eher ein positiv eingestellter Mensch…
TITANIC Das macht gar nichts! Sie klingen ja nicht so.
Keilisch Nein, das nicht. Was mich persönlich geärgert hat, daß man mit Aktien-Anlagen und alles doch ziemlich reingefallen ist! Das hätte man doch lieber nicht machen sollen…
TITANIC Ja, ziehen Sie ruhig über den Kapitalismus her. Was man so gelernt hat früher, was vielleicht noch abrufbar ist. Das amüsiert natürlich die Zuhörer dann sehr. Alles, was Sie an marxistischen Phrasen noch draufhaben, wäre sehr unterhaltsam!
Keilisch (bescheiden) Na ja, so'n großer Entertainer bin ich eigentlich nicht!
TITANIC Das ist ja das Schöne, daß Sie nur Sie selbst sein müssen und sich nicht verstellen müssen.
Keilisch (besorgt) Und da wird man sicher auch mal mitten in der Nacht angerufen?
TITANIC Nein, das geht strikt nach Stundenplan.
Keilisch Na, das muß ich mir noch mal durch den Kopf gehen lassen…

Der schwarze Kanal am Telefon, das wäre in unserer Hotline ein Hit gewesen. Aber leider meldet sich Herr Keilisch nicht wieder.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick