Inhalt der Printausgabe

März 2003


Wovon wir reden, wenn wir von Regen reden
(Seite 4 von 9)

Es klopfte an der Tür. Vicky ging öffnen. Es war Mariah, Hanks dritte Frau, die sechs Zentner wog, den Sommer bei den Kindern eines Ex-Vetters in Portland verbrachte und auch sonst die meiste Zeit betrunken war. "Vicky, Schätzchen, hast du nicht ein bißchen Kaffee für mich? Hallo, Bud."
"Hi, Mariah", sagte ich und wischte mir mit der Zunge einen Tabakkrümel von den Lippen. "Schlimmes Wetter draußen, was?"
"Martha, Schätzchen", sagte Mariah und steckte sich eine Zigarette an. "Ich heiß Martha, okay?"
"Okay", sagte ich und setzte meine Tasse ab. Es war mir egal, was das angeht. Ich hieß ja auch nicht Bud.
"Es regnet viel dieses Jahr", sagte Vicky, während sie nach der Kaffeedose suchte.
"Hähähä", machte Martha.
"Es hat noch nie so viel geregnet wie in diesem Jahr", sagte Vicky. "Manchmal denkt man, es hört überhaupt nicht wieder auf."
Martha bohrte sich hinter Vickys Rücken den rechten Zeigefinger in die Schläfe und machte einen Vogellaut. Dann stellte sie den Fernseher lauter und verfolgte aufmerksam einen Werbespot für Nikotinpflaster. Als sie damit fertig war, nahm sie von Vicky das Kaffeepulver, sagte "Danke, Schätzchen", spuckte ihre Zigarette auf den Boden und wünschte uns noch einen schönen Tag.
Ich sah wieder aus dem Fenster. Der Regen hatte zugenommen und hieb heftig auf den Rasen vor dem Haus. Ich beobachtete eine Amsel, die unter einem Busch Zuflucht gesucht hatte und geduldig wartete, bis das Schlimmste vorüber wäre. Vicky warf ihren Zigarettenrest in die Marmelade und ging ins Bad. Ich blieb sitzen und goß mir noch einen Kaffee ein. Ich dachte an einen längst vergangenen Abend bei Simon und Stella in Modesto. Vicky und ich waren gerade frisch verheiratet, Simon war College-Professor für antirussische Literatur, und Stella arbeitete halbtags als Tagesschwiegermutter und vertrieb sich ihre freie Zeit mit Rasieren und Raumausstatten. Es war ein schöner Abend gewesen, wir hatten reichlich gegessen und nahmen den Kaffee im Wohnzimmer. Simon hatte irgendwas von Räucherfisch, Alaskaseelachs, Moby Duck bzw. Käpt'n Iglo erzählt und mich dann gefragt, was wir für Pläne hätten. "Mal sehen", hatte ich gesagt und heimlich einen ziemlich schwarzen Popel unter die Tischkante geklebt, "erst mal muß Vicky einen Job finden. Und im Sommer mieten wir uns ein Haus in den Bergen, schicken meiner Ex-Frau ein paar Dollar und gehen angeln. Ich glaube, mehr will ich nicht vom Leben. Oder? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht." Vicky hatte gedankenverloren auf die Glut ihrer Zigarette gestarrt und nichts gesagt. Für eine Sekunde hatte ich den Eindruck, ich hätte etwas kaputtgemacht, was ich nie wieder würde kitten können, so wie damals, als ich an der Tankstelle in Walla Walla das Rauchverbot übersehen hatte.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg