Inhalt der Printausgabe

März 2003


Wovon wir reden, wenn wir von Regen reden
(Seite 3 von 9)

"Shit", sagte ich und strich mir Erdnußbutter auf den Speck.
"Was soll das heißen, ›shit‹?" sagte Vicky, goß sich Kaffee in die Tasse und zündete sich eine Zigarette an. Sie inhalierte tief. Als sie den Rauch wieder ausstieß, nahm der faserige graue Brei erst die Konturen von Oregon, dann von Mutter an, bevor er sich am Küchenfenster brach und zum Schluß aussah wie die traurigen Reste eines verendeten Immigranten.
"Shit, daß sie's schaffen wird, oder shit, daß sie's getan hat?"
"Mehr so allgemein shit", sagte ich und wischte mit dem Toast das Eigelb von der Hose. "Ich meine, hast du sie mal gefragt, ob das so geplant war, daß man sie findet? Vielleicht wollte sie gar nicht, daß man sie findet. Wenn ich mir die Pulsadern aufschneide, dann will ich jedenfalls nicht, daß man mich findet. Höchstens zufällig." Ich zündete mir eine Zigarette an und mußte an Willy Forbes denken, mit dem ich mal in Oakland für zwei Dollar fünfzig Müllsäcke gebügelt hatte. Eines Morgens fand man ihn mit offenen Pulsadern auf der Kantinentoilette, weil er für seine Ex-Frau Penny, die ihn wegen eines sehbehinderten schwarzen Schornsteinfegers aus Eureka verlassen hatte, die Alimente nicht zahlen konnte. Oder nicht wollte. Es war mir egal, was das angeht.
"So ein versuchter Selbstmord ist immer auch ein Hilferuf", sagte Vicky. Sie zündete sich eine Zigarette an und setzte Kaffee auf. "Wer weiß schon, was sie für Probleme hat."
Ich drückte meine Zigarette aus, zündete mir eine neue an und sah aus dem Fenster. Wer weiß schon, was einer für Probleme hat? Es gibt Leute, die haben welche und reden nicht drüber, und andere, die haben keine und reden auch nicht drüber. Und wenn einer wie Willy Forbes schon mal den Mund aufmachte, konntest du sicher sein, daß es roch bis nach Seattle oder Denver.
"Wer weiß schon, was sie für Probleme hat", wiederholte Vicky und suchte im Ausguß nach Streichhölzern. "Einmal kam sie zu mir, es ging ihr nicht gut, sie wollte reden. Ich hab uns Kaffee gemacht, und sie hat erzählt von ihrem Mann, und daß sie sich ungeliebt fühlt. Ich hab sie in den Arm genommen und gesagt, in meinen Augen sei sie eine dumme ordinäre Sau mit einem Herz aus Scheiße, die nicht mal die Liebe einer arschamputierten Hyäne verdient hätte. So was in der Art jedenfalls. Sie ist damals einfach aufgestanden und gegangen." Sie zündete sich eine Zigarette an. "Aber kann man in einen Menschen reingucken? Wenn man nicht gerade Proktologe ist", sagte Vicky und stellte die Kaffeedose ins Regal.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Anpfiff, Max Eberl!

Sie sind seit Anfang März neuer Sportvorstand des FC Bayern München und treten als solcher in die Fußstapfen heikler Personen wie Matthias Sammer. Bei der Pressekonferenz zu Ihrer Vorstellung bekundeten Sie, dass Sie sich vor allem auf die Vertragsgespräche mit den Spielern freuten, aber auch einfach darauf, »die Jungs kennenzulernen«, »Denn genau das ist Fußball. Fußball ist Kommunikation miteinander, ist ein Stück weit, das hört sich jetzt vielleicht pathetisch an, aber es ist Liebe miteinander! Wir müssen alle was gemeinsam aufbauen, wo wir alle in diesem gleichen Boot sitzen.«

Und dieser schräge Liebesschwur, Herr Eberl, hat uns sogleich ungemein beruhigt und für Sie eingenommen, denn wer derart selbstverständlich heucheln, lügen und die Metaphern verdrehen kann, dass sich die Torpfosten biegen, ist im Vorstand der Bayern genau richtig.

Von Anfang an verliebt für immer: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg