Inhalt der Printausgabe
Dezember 2003
Flüchtlingsschelte Go West (Seite 2 von 5) |
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Politik machen die Vertriebenen dabei nicht nur in ihren Zirkularen wie Ostpreußenblatt, Sudetendeutsche Zeitung und FAZ, sondern auch via TV: Formate wie "Die 40er-Show" und "Richter Roland Freisler" haben phänomenale Einfaltquoten. Aber auch die Künstler reklamieren ihr Recht auf unvoreingenommene Betrachtung deutschen Leids. Noch vor Weihnachten wird Sönke Wortmann seinen neuen Film "Das Wunder von Breslau" in die Kinos gebracht haben, in dem er die Heimniederlage der lokalen SS im Kampf um die Weltherrschaftsmeisterschaft 1945 thematisiert, in den Hauptrollen Helmut Rahn als Obersturmbannführer Fritz Walter und Sissi Perlinger als Elfmeter. Dem Popsänger Martin Kesici, Gewinner der Casting-Show "Star Search", gelang mit "Angel of Stettin" der endgültige Dolchstoß, und auch die greise Zonen-Combo Karat schaffte mit "Über Weichselbrücken mußt du gehn" noch einmal den Sprung in die Charts. | |
Die Buchhändler profitieren ebenfalls von der neuen Erinnerungslust. Nicht nur Marion Gräfin Dönhoffs Klassiker "Namen, die keiner mehr nennt, z.B. Sascha Hehn" verkauft sich nach wie vor wie geschnitten Brot von ewiggestern. Auch Neuerscheinungen wie "Die schönsten Wanderwege von Ostpommern nach Köln" (Fluchterhand) und "Warum Russen marodieren und Frauen mit dem Pferdewagen so schlecht einparken" (Aussiedler Verlag) bringen Rekordumsätze. Auch wenn die Vertriebenengeneration auszusterben beginnt, so wird das Thema doch auf der deutschen Agenda bleiben. Erika Steinbachs Enkel, der Hanauer Unternehmer Barbarossa Steinbach, ist jetzt schon fest entschlossen, das Erbe seiner Großmutter anzutreten: "Letzten Winter bin ich mitten in der Nacht von einem russischen Zuhälter aus dem ›Westpreußeneck‹ vertrieben worden. Im Leiterwagen hat man mich zum Notarzt gebracht! Meine Güter mußte ich natürlich zurücklassen: Uhr, Geldbörse, Schneidezähne." Für seine Leidensgeschichte hat Oma Erika stets ein offenes Ohr, ist sie doch selber 1945 aus dem schon vor dem Krieg polnischen Rumia vertrieben worden, in dem sie mit ihrem Vater, einem Besatzungssoldaten aus Hanau, volle zwei Jahre unvergeßliche Heimaterinnerungen sammeln und das polnische Hauspersonal schurigeln durfte. Wer im Vertrieb arbeitet, ist praktisch schon arbeitslos "Was verloren ist, ist verloren", gibt sich Erika Steinbach heute versöhnlich, "aber wenn ich meinen Verstand schon nicht wiederhaben kann, dann wenigstens meine geliebte Heimat." Stefan Gärtner, Oliver Nagel
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