Inhalt der Printausgabe
Dezember 2003
Vom Fachmann für Kenner (Seite 16 von 16) |
Die Verwandlung Als ich eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fühlte ich mich wie verwandelt: Schwer lag es auf meiner Brust, die Bronchien kratzten, und meine Füße waren kalt, wie nicht recht durchblutet. Meine ersten Gedanken schwankten zwischen dem heftigem Verlangen nach einem Bier und dem nach einer Zigarette, womöglich nach beidem zugleich, und unausgegorene Verse gingen durch mein noch in halbem Schlaf befindliches Hirn, sogar die perfekten Reime auf "ficken" und "Stoiber", die ich offenbar schmerzlich vermißt hatte, denn ich krabbelte, was ja nun gar nicht meine Gewohnheit ist, behende aus dem Bett, und erst da wurde ich der Verwandlung, die mit mir geschehen war, wirklich gewahr: Ich hatte, ganz dem üblichen Lauf der Dinge entgegen, keine Morgenlatte. Verwirrt trippelte ich ins Bad und fand in dem durchaus elenden, käferhaften Gesicht, das der Badezimmerspiegel mir zurückwarf, mein Unglück, meine Deformation bestätigt, und niedergeschlagen spuckte ich meinen Auswurf ins Becken, kleidete mich an, warf mir eins von Bernd Eilerts nachgelassenen Sakkos über und ging ins Büro, mich vom Prokuristen mit Obst und faulen Witzen bewerfen zu lassen. Das Telefon klingelte, angeblich meine Frau, ich kannte sie nicht und mußte husten. Dann sank mein Kopf ohne meinen Willen gänzlich nieder, und aus meinen erst kürzlich im Essener Krupp-Krankenhaus einwandfrei freigeschabten Nüstern strömte mein Atem schwach hervor. "Hier, die 17 Seiten sind von Tietze, gehst du über den Scheiß noch mal drüber? Und vergiß nicht die fällige Abrechnung mit der Finanzoligarchie, da reichen aber 30 000 Zeichen, ohne Leerstellen, versteht sich…" "Aber Martin, lieber Martin", brachte ich mit letzter Kraft hervor, "ich bin doch gar nicht… öchl… Thomas Gsella…" "Und ich bin nicht Sonneborn, du Töffel", sagte Nagel und kehrte, wie erleichtert, in sein Internet zurück. Stefan Gärtner
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