Inhalt der Printausgabe

April 2003


Humorkritik
(Seite 3 von 8)

Die schönste CD der Welt

Reichlich verspätet erfuhr ich kürzlich von den komischen Vorgängen rund um den österreichischen Beitrag für den Grand Prix-Vorentscheid im letzten Jahr. Da waren zwei Privatradio-Moderatoren, die den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in ihrer Sendung seit Jahren ironisch begleiten, selbst angetreten, und zwar mit dem schönsten Lied der Welt, das auch noch so hieß: "Das schönste Lied der Welt". Und waren zweite geworden. Anschließend stellte sich heraus, daß der Siegertitel ein Plagiat war - woraufhin, wäre es mit rechten Dingen zugegangen, der Zweitplazierte hätte aufrücken müssen. Das geschah nicht, der zweite Platz wurde neu ausgeschrieben, und Österreich hatte seinen eigenen kleinen Grand Prix-Skandal. Dirk Stermann und Christoph Grissemann produzierten hernach "Die schönste CD der Welt. Ein dokumentarisches Hörspiel mit denk- und fragwürdigen Gesangseinlagen" bzw. "Wie wir um das Ticket nach Tallinn gebracht wurden" (Universal Music Austria).
Nun sind Stermann & Grissemann sowohl Radio- als auch Fernsehmoderatoren, Kabarettisten und Buchautoren in Personalunion; eine Professions-Melange, die zu einer Formenvielfalt führt, von der viele Kleinkünstler nur träumen können. Sie haben Telefonstreiche im Repertoire, deren Verwandtschaft mit "Studio Braun" unüberhörbar ist, sie verstehen sich auf absurd-komische Dialoge, die an Sketche aus der "Bullyparade" erinnern (das Team Herbig-Kavanian-Tramitz hat seine Wurzeln nicht zufällig ebenfalls im Hörfunk), und nun singen sie auch noch Lieder, deren Texte leise an Helge Schneiders Schlagerparodien der frühen Jahre erinnern oder an die postdadaistischen Rollen-Songs von Foyer des Arts.
Leider bleibt bei dieser Variationsvielfalt einiges auf der Strecke, z.B. Stringenz: "Die schönste CD der Welt" schusselt mal hierhin, mal dorthin, plötzlich geht es nur noch sehr entfernt um die Welt des Grand Prix, wenn bei einem Telefonstreich ein gewisser Franz Liszt Hotelzimmer für seine Freunde Joseph Haydn und Gustav Mahler bucht (einer der lustigeren Anrufe) oder in einem Dialog die Musiklehrerin von ihrem Schüler verlangt, er solle erst mal die Hose aufmachen und sich einen Telefonhörer ins Rektum schieben lassen, bevor die Gesangsstunde beginne - ein Scherz, dessen Nähe zu Helge Schneiders Kurzhörspielen um brutale Erziehungsmethoden schon etwas zu groß ist, als daß man sie überhören könnte. Die Schlager, die Stermann und Grissemann höchstwahrscheinlich nicht als Parodie verstanden wissen wollen, funktionieren aber leider lediglich als solche: Mit Instant-Komponenten aus dem Synthesizer absichtlich simpel bis grauenvoll gehalten, bieten sie nichts, was man gerne ein zweites Mal hören wollte, nichts, was weiter gehen würde als die Koketterie mit dem eigenen Unvermögen zu singen und zu komponieren. Und zu texten.
Denn auch bei einem Text etwa von Georg Danzer habe ich mich unwillkürlich gefragt, ob da eine Ironie drinsteckt, die weiter geht als die, die ich von Georg Danzer nun mal seit 20 Jahren kenne ("Mir wird schlecht, wenn ich an dich denke"), ob es in Österreich eventuell schon ironisch ist, wenn man unironisch mit Georg Danzer zusammenarbeitet, und ob nicht letzten Endes gar ein Gutteil der "Komik" (zumindest dieser Platte) von Stermann und Grissemann aus der Haltung resultiert, was man da tue, sei per se uneigentlich gemeint und daher komisch, da brauche es keine Pointen, allenfalls etwas Selbstironie. Eine Haltung, die nicht nur fragwürdig ist, sondern zumindest eine oberflächliche Vertrautheit mit dem Schaffen der beiden Künstler voraussetzt.
Zum Glück habe ich gleichzeitig mit der "Schönsten CD der Welt" eine Doppel-Live-CD eines älteren Programms erworben, "Das Ende zweier Entertainer. Eine Scheiß-CD für alle Beteiligten" (Geco Tonwaren), die mich davon überzeugt hat, daß Stermann und Grissemann noch vielfältiger sind als erwartet. Da wird schnell und grell gewitzelt, auch wenn einige Scherze in ihrer absichtsvollen Dürftigkeit halt in erster Linie dürftig bleiben ("Joseph Beuys und sein Sohn Backstreet"), sehr bekannt vorkommen ("Cher hat ihren 50. Geburtstag gefeiert - zumindest Teile von ihr") oder Nicht-Österreichern unverständlich bleiben müssen (wenn es etwa um die TV-Peinfigur Vera Russwurm geht). Lauthals lachen mußte ich bei dem Witz: "Wir spenden nichts für die Unicef, wir finden, die Studenten sollen arbeiten."
Haken wir "Die schönste CD der Welt" also einfach ab als leicht verhautes Stück in einem respektablen Gesamtkunstwerk und wenden uns, soweit wir im Einzugsbereich der beiden Österreicher sind (von denen einer genaugenommen Deutscher ist), ihrem aktuellen Programm zu, das da heißt "Willkommen in der Ohrfeigenanstalt".


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt