Inhalt der Printausgabe
April 2003
Vom Fachmann für Kenner (Seite 9 von 16) |
Die schiefe Bahn Vor kurzem entschied ich mich, auf die schiefe Bahn überzuwechseln. Glücklicherweise fand ich im Notizbuch die Telefonnummer meines alten Schulkameraden Manni, über den Gerüchte kursierten, er habe diesen Schritt schon vor einiger Zeit, ebenfalls aus finanzieller Not, unternommen. Nachts, mit meinem 2jährigen Sohn auf dem Arm, dessen Beaufsichtigung mir von seiner Mutter (seit es mit dem Geld nicht mehr so läuft, leben wir getrennt) übertragen worden war, vor einem geeigneten Kraftfahrzeug stehend, war mir nur leider fortwährend so, als hörte ich eine Sirene heulen oder einen Passanten passieren. Zurück in Mannis Auto, erklärte ich mich folgendermaßen: "Ich meine, stell dir doch mal vor, wir brechen jetzt das Auto da auf und klauen das Radio. Und dann werden wir erwischt. Und kommen in den Knast. Ins Kittchen. Hinter schwedische Gardinen. Dann atmen wir gesiebte Luft für so zwanzig, dreißig Jahre. Und wenn wir dann wieder rauskommen, sind wir Ex-Knastis. Was soll denn dann mein Sohn von mir denken? Dann komm ich in dreißig Jahren bei dem zu Hause vorbei und sag ihm: ›Ich bin dein Vater‹, und dann sagt der: ›Wer?‹ Und ich sag: ›Ich bin dein Vater‹, und dann sagt der: ›Ach, der Knastbruder.‹ Willst du das? Ich will das jedenfalls nicht." "Also, dann lassen wir's einfach", sagte Manni, und wir fuhren wieder. Die schiefe Bahn ist wohl doch nichts für mich. Sebastian Wolf
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